Wie Sie Führungsrollen richtig besetzen und wie Sie ungeahnte Potenziale heben

Frank Bunge

Frank Bunge

31. Juli 2020

Die Unternehmen müssen auf Veränderungen immer schneller reagieren können. Eine Grundvoraussetzung dafür sind flexible Führungsmodelle mit einer sinnvollen Rollenverteilung, wie sie beispielsweise in SAFe® oder Shared LeaderShift© vorgesehen sind. In Teil Eins dieser Interviewreihe fokussierten sich die beiden Expert*innen Barbara Wietasch (BWI) und Werner Siedl (WSI) auf die verschiedenen Rollen, die es in den beiden Modellen zur Umstrukturierung in den Unternehmen gibt und wie sich diese auf Augenhöhe begegnen können. Im nachfolgenden Teil Zwei geht es um die Möglichkeiten, die diese Frameworks für Unternehmen eröffnen. Dazu stellt sich zunächst die Frage, wie diese neuen Führungsrollen optimal besetzt werden können: Wie finden Unternehmen die passenden Leader für die verschiedenen Rollen? Ein weiterer Schwerpunkt liegt darin, welche Grundlagen der Wandel in den Unternehmen benötigt, und worin die spezifischen Herausforderungen für Führung und Mitarbeitende bestehen.

Anmerkung der TCI-Redaktion: Das Interview führten Barbara Wietasch (TCI Partner) und Werner Siedl (Managing Partner der TCI) und wurde ursprünglich als Spotlight bei „Führung Neu Denken: Der Shared LeaderShift© Podcast für Unternehmen im Wandel“ veröffentlicht. Um das Original-Interview anzuhören, finden Sie den Stream hier auf SharedLeadershift.com.

So können Unternehmen ihre Führungsrollen richtig besetzen – Interview mit Barbara Wietasch und Werner Siedl

Barbara Wietasch: Nachdem wir bereits ausführlich über die beiden Modelle und die Rollen an sich gesprochen haben, möchte ich noch einmal konkret zu SAFe® zurückkommen. Gerade dann, wenn es als Hybrid-Framework umgesetzt wird, würde mich interessieren, wie die einzelnen Beteiligten selbst den Überblick behalten können. Wie wissen sie zum Beispiel, was all diese Rollen eigentlich machen, oder an wen sie sich wenden können, wenn sie eine Frage haben, beispielsweise zu ihrer eigenen Aus- und Weiterbildung, zu ihrer Qualifizierung, zum nächsten Karriereschritt oder aber auch zu Konflikten? An wen beziehungsweise an welche Rolle wenden sie sich, und wie werden diese Rollen mit Leben gefüllt?

Werner Siedl: (lacht) Diese Rollen mit Leben zu füllen hängt letztendlich immer mit der jeweiligen individuellen Person zusammen, und es hängt auch von all den Rahmenparametern ab. Meiner Meinung nach spielen an diesem Punkt wir als Externe – oder als interne Lean-Agile Coaches – eine wesentliche Rolle, um dabei zu helfen, gerade im Hinblick auf die Rahmenparameter die Rollen mit Leben zu füllen. Bei SAFe® gibt es, wie in allen großen Frameworks, so etwas wie klare Rollenbeschreibungen, wer was zu tun hat. Allerdings ist das eher eine Art Blaupause, in der die Dinge erklärt werden, in der Aufgaben zugeteilt werden, welche Events durchgeführt werden, wer welche Verantwortung trägt und so weiter. Hinzukommt natürlich immer die Frage: Nehmen diese Personen diese Rolle wahr, erfüllen sie ihre Rolle? Ist die Rollenverteilung „einfach nur so gelegt“, oder steckt da wirklich Leidenschaft dahinter? Ich denke, dass dies das eigentlich Wichtige ist.

In den Unternehmen gibt es ja viele Mitarbeitende, die gute Potenziale und Talente haben – und es muss genau darauf geachtet werden, dass diese richtig zugeordnet werden. In den großen Konzernen, mit denen ich ja viel zusammenarbeite, sehe ich besonders häufig, dass das eben nicht funktioniert. Teilweise werden Personen auf Rollen gesetzt, die sie dann auch übernehmen, nur passt das eigentlich gar nicht zu ihren Talenten und Fähigkeiten. Bei diesem Thema gibt es sicherlich noch Verbesserungspotenzial. Denn wenn dann nun Personen mit der falschen Rolle betraut sind, dann ist die letztendliche Zusammenarbeit umso schwieriger: Wenn ich irgendeine Frage habe und mich an die jeweiligen Vorgesetzten oder Ansprechpartner wende, aber diese Personen das nicht wirklich umsetzen und sozusagen leben. Meines Erachtens nach gibt es an diesem Punkt nicht die eine allgemeingültige Blaupause. Da hilft letztendlich nur, wie ich es nenne, die Dinge mit Hausverstand und Menschenverstand anzugehen. Darauf muss man wirklich genau achten.

Was es für das Unternehmen bedeutet, (Führungs-) Verantwortung neu zu verteilen

BWI: Da kommen wir gleich schon zum nächsten wichtigen Punkt: All das ist eine tiefgreifende Kulturveränderung, wirklich Verantwortung ins Team zu geben und den Einzelnen zu befähigen. Das ist auch ein essenzielles Thema bei Shared LeaderShift©: Wir reden natürlich über Selbstführung, über Mitarbeiterführung, Führung im Team und Unternehmensführung – aber wir sprechen auch über Führung durch klare Regeln, sprich: durch eine Governance, die erst entwickelt werden muss, die allerdings auch gemeinsam entwickelt wird. Diese Fragen stellen sich wahrscheinlich bei SAFe® auf eine ähnlich Weise, also: Wer ist denn eine gute Besetzung für welche Rolle, wer verfügt über das richtige Mindset und kann dementsprechend problemlos in Scrum mitarbeiten, oder eben auch in bestimmten anderen agilen Teams?

WSI: Meiner Erfahrung nach ist genau das wirklich eine der großen Herausforderungen. Es sind die neuen Rollen, in welchem Kontext sie nun auch besetzt werden sollen, ob wir jetzt von Lean-Agilität reden, oder auch bei Shared LeaderShift© oder eben auch SAFe®: Die neuen Rollen mit ihren Aufgaben. Um diese neuen Rollen mit den richtigen Personen zu besetzen, muss man sich wirklich die Mühe machen und genau hinschauen: Was sind das für Rollen, welche Attribute sind da verlangt, und was ist in der heutigen Organisation vorhanden. Die Baseline darf hier nicht sein, einfach zu sagen, dass eine Führungskraft wieder eine Führungsrolle übernehmen muss, eben weil sich die Arbeit und die Zusammenarbeit insgesamt enorm verändert.

Deswegen müssen wir da auch bereit sein, grundlegend umzudenken. Das ist eine riesengroße Veränderung, die nicht innerhalb von Tagen oder Monaten abgeschlossen ist. Diese Veränderung dauert tatsächlich Jahre, und die Erfahrung zeigt, dass man bei dieser Umstellung eine konstante Begleitung braucht. Zum Beispiel geht es auch darum, der Führungsmannschaft zu helfen, loszulassen, und dass sie bei diesen Fragen auch fündig werden im Unternehmen. Genau genommen ist das eines meiner wesentlichen Themen für die Führungsmannschaft: Wo finde ich denn Leader? Welche Rolle kann von wem übernommen werden? Wenn eine Person Verantwortung abgibt oder an die Teams delegiert – und dann eben nicht mehr der Chef ist und das Ganze vorgibt, was genau passiert mit dieser Führungskraft?

Das ist ein zentrales Thema für uns bei SAFe® und das greift Ihr ja auch bei Shared LeaderShift© konkret mit dem Triumvirat und insbesondere mit dem Purpose und der Strategie auf. Es ist essenziell, sich darauf zu konzentrieren – nicht nur strategisch, sondern auch mit dem Purpose: Wie gelingt das? Wie binden die Unternehmen dann auch eine Führungskraft und einen Leader? Wie kann das jemand dann auch vorleben? Das ist ein spannendes Thema, wo es noch viel zu tun gibt; speziell in Deutschland. (Lacht)

Elemente wie Program Increment Planning machen ungeahnte Potenziale frei

BWI: Ich würde sagen, dass diese Herausforderung für Unternehmen in einer ganzen Reihe von Ländern grundlegend ist. Für viele ist das eine vollkommen neue Reise und Veränderung, und da stellt sich natürlich auch die Frage: Wie kommen denn überhaupt die Rollen dazu, gut zusammenzuarbeiten? Wie schafft Ihr das dann mit dem entsprechenden Alignment und den Leitplanken? Bei Shared LeaderShift© haben wir da den Purpose & Strategy Leader, was wiederum von einer Gruppe oder einer Einzelperson erfüllt werden kann oder als Verantwortungsbereich in eine Rolle mit hineingenommen werden kann. Wie sieht das bei SAFe® aus?

WSI: Bei Scaled Agile Framework® ist das sehr klar definiert, und es gibt eindeutige Strukturen für die Gesamtumsetzung, für die Zusammenarbeit und für das Alignment. Das „Magische“ Bei SAFe® ist das Program Increment Planning. Bei dieser Sprint-Planung kommt das Scrum Team beziehungsweise das agile Team zusammen, und plant für die nächsten zwei Wochen. Bei SAFe® hat man diese Taktung nicht nur für die Sprints alle zwei Wochen, sondern man hat eine zusätzliche Taktung, die jeweils für drei Monate angesetzt wird. Man kommt also alle drei Monate in einem Program Increment zusammen, und dabei treffen sich alle Beteiligten, die für eine Wertschöpfung im Programm oder Projekt benötigt. Das umfasst die Teams und die übergeordneten Rollen, wie der Produktmanager, Release Train Engineer und System-Architekt, aber auch die weiteren Rollen wie die Business Owners, also die ganzen Stakeholder, die die Personalverantwortung, kaufmännische Verantwortung und letztendliche Entscheidungsverantwortung tragen. All diese Rollen kommen für zwei Tage zusammen und arbeiten gemeinsam und strukturiert einen Plan für die nächsten drei Monate aus.

Genau betrachtet ist das etwas Besonderes, denn in der heutigen Zeit können wir gerade Schlüsselpersonen oft gar nicht erreichen. Diese sind einfach nicht verfügbar, weil ihr Kalender komplett durchgeplant ist. Wenn diese Schlüsselpersonen dann aber für zwei Tage verfügbar sind, dann eröffnet das vollkommen neue Möglichkeiten. Wenn ich beispielsweise eine Entscheidung brauche, dann kann ich sofort zu den Personen hingehen und innerhalb von Minuten eine Entscheidung bekommen, bei der ich ansonsten teilweise Wochen brauche, um die entsprechenden Personen auch nur zu versammeln. Ein ganz großer Vorteil ist auch, dass es wirklich einen Raum gibt, in dem sich zum einen das Top Management und zum anderen die einfachen Mitarbeitenden treffen. So schaffe ich es eben auch, über mehrere Ebenen eine funktionierende Kommunikation herzustellen. Auch das ist ein enorm spannender Faktor, denn dabei habe ich teilweise schon erlebt, dass Personen, die schon seit 15 Jahren zusammenarbeiten, das erste Mal wirklich physikalisch zusammenkommen und miteinander über Themen sprechen, wo vorher ein großes Problem war. Wenn sie das in diesem Setting miteinander besprechen, dann kann das relativ einfach gelöst werden.

Das ist ein ganz wunderbares Element von SAFe® und es gibt natürlich viele spezielle Regeln, aber das Program Increment Planning kann man als das Kernstück bezeichnen, in dem produktive Vorgaben gemacht werden. Zudem ist das kein einmaliges Event, sondern iterativ. Man macht einen Entwurf und stellt diesen vor, dann gibt das Management Feedback für Änderungen und Anpassungen. Im Anschluss erfolgt unmittelbar die Adaptierung, und man fragt die Mitarbeitenden auch direkt nach ihrem Committment. Das ist eben kein Top Down Approach und es kommt keine unumstößliche Ansage von oben. Stattdessen hat auch bei den Mitarbeitenden jede einzelne Person eine eigene Stimme. Dadurch erhält das Ganze eine vollkommen neue Dynamik. Das ist es, was mich persönlich so daran fasziniert hat und warum SAFe® mich letztendlich so in den Bann gezogen hat, sodass ich in genau diesem Umfeld weiterarbeite.

BWI: Das kann ich gut nachvollziehen, was das bewirkt, wenn man wirklich beobachten kann, dass sich etwas verändert. Was dann ja auch passiert, ist: Menschen werden stärker, sie finden ihre Potenziale und sie bringen sich ein. Und wie schon gesagt, im Doing weichen sich Hierarchien auf.

Das Interview zur zielgerichteten und erfolgreichen Führung auf Augenhöhe mit SAFe® und SharedLeaderShift© führten Barbara Wietasch, TCI Partner, und Werner Siedl, Managing Partner der TCI.

Direkt weiterlesen und Themen vertiefen

In Teil Drei des Interviews geht es konkret um die Umsetzung: Wie sieht beispielsweise die Implementierung von SAFe® im Unternehmen aus, was sind die Kernherausforderungen – und wie lassen sich diese meistern? Die Antworten erhalten Sie in der Fortsetzung des Interviews, die voraussichtlich am Freitag, den 7. August 2020 erscheinen wird.

Lesen Sie auch die weiteren Teile des Interviews!

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(Coverbild: © ASDF | Adobe Stock)

Über den Autor

Frank Bunge

Frank Bunge

Frank Bunge ist TCI Partner und begleitet Unternehmen bei der Neuausrichtung ihrer Geschäftsprozesse zur Optimierung der Kundenbindung. Dabei blickt er auf mehr als 20 Jahre Service Excellence- und Customer Experience-Erfahrung als Geschäftsführer und Senior Manager zurück.

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