All die Mühe ist umsonst – Der Weg zur unschlagbaren Organisation

Dr. Harald Münzberg

Dr. Harald Münzberg

20. Dezember 2023

Selbst bei den Top-Unternehmen ist eine Unruhe zu spüren. Eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Status Quo. Oder das Hören von Alarmglocken. Eine gute Sache, die Mannschaft einmal „Wachrütteln“. Stellvertretend sei hier Oliver Bäte genannt, der der Allianz IT das Prädikat „Mist“ vergibt. Oder der Evonik Chef, Christian Kullmann, der seiner Organisation gar eine Bikini-Figur verpassen will. Er und sein Management-Team wollen eine neue Verwaltung erarbeiten, die schlanker, schneller und internationaler aufgestellt werden soll.

Nichts arbeitet die Polarität von Aufstieg und Fall plakativer heraus als das zweigeteilte Titelblatt des Handelsblatts vom 10. November 2023. Dem Aleph-Alpha-Gründer Jonas Andrulis waren gefühlt 80 Prozent („Ganz Europa sollte hoffen, dass dieser Unternehmer Erfolg hat“) und der Sigma-Gruppe mit René Benko („Das Benko-Beben Aufstieg und Fall des einstigen Immobilien-Wunderkinds“) gerade einmal 20 Prozent Platz spendiert.

Sind Aufstieg und Fall von Unternehmen, einem Naturgesetz folgend, unausweichliche Phänomene. Oder wie es Jeff Bezos ausdrückt, dass „Day 2“ unausweichlich ist. Er führt hierzu aus – „Day 2 is stasis. Followed by irrelevance. Followed by excruciating, painful decline. Followed by death.”

Oder ist die Idee der „Unschlagbaren Organisation“ ein Gegenmodell dazu?

Der Mühe nicht wert

Vieles was in Unternehmen passiert, ist der Mühe nicht wert, vielleicht überflüssig oder nicht wertstiftend. Stellvertretend seien „Rechtfertigungs-Initiativen“ genannt, wie Strategien, Planungen oder Geschäftsverteilungspläne, die in Organigrammen münden.

Was ist ein Mehrjahresplan wert? Gibt ein 10 Jahres-Plan Orientierung oder gar Argumente für (Re-)Investitionen? Die Neigung in Budgetierungsrunden bis auf den Artikel Absatz und Umsatz zu planen, ist wenig sinnvoll und schon gar nicht Sinn stiftend.

Demgegenüber ist eine langfristige Orientierung des Unternehmens wichtiger; ein Bild der Zukunft entwickeln und darüber die Menschen mitnehmen. Dabei ist es zentral, ein Verständnis darüber zu haben, dass Entscheidungen immer auf der Basis unvollständiger Informationen getroffen werden und deshalb nie gänzlich rational sind. Dazu gesellen sich die Vorurteile der handelnden Menschen. Diese können in einem Fall zur Beschleunigung einer Entscheidung führen (gut genug), im anderen allerdings zur Überhöhung und zu Fehlentscheidungen.

Wie viel Freiraum wird zur Reflexion gelassen und bekennt man sich zu einer Innovationskultur, die Fehler, Versuch und Irrtum zulässt. Und damit erst eine Chance zu disruptiven Innovationen aufgreifen kann. Oder siegt die Neigung zur Risikovermeidung und Rechtfertigung des Recht habens.

Eine im eigentlichen Sinne unternehmerische Kultur lebt davon, Risiken zu bewerten und sehenden Auges einzugehen oder zu vermeiden. Die Spielregeln einer Industrie kann nur der verändern, der das Risiko eingeht. Dabei werden diejenigen Unternehmen umso erfolgreicher sein, die eine offene Lernkultur pflegen und zur Übernahme von Verantwortung ermutigen.

Innovationskultur

Christiansen weist darauf hin, dass auch etablierte Unternehmen, die in ihrer DNA auf inkrementelle Innovationen ausgelegt sind, auch disruptive Innovationen erarbeiten können. Dies gelingt ihnen jedoch nur in neuen Geschäftseinheiten, getrennt vom Kerngeschäft. Denn sie brauchen eine andere Organisations- und Kostenstruktur. Er postuliert, dass Entrepreneur-ship ein Backup-Plan für Unternehmen ist, weil sie sich intern nicht erneuern können. Entrepreneurship bedeutet Versuch und Irrtum und wir haben noch nicht gelernt, wie man das intern machen kann. Seinem Konzept liegt eine gewisse Distanz zu Daten zu Grunde. Er führt hierzu aus, „Managementscheidungen nur auf Basis von Daten zu treffen, halte ich für falsch. Ich stelle mir vor, ich komme in den Himmel und frage mich, warum es keine Daten gibt. Dann wird mir geantwortet, weil Daten immer lügen. Und immer wenn Daten wieder in den Himmel wollen, dann schicken wir sie zur Hölle“.

Peters und Waterman arbeiten in den 80ern als Ergebnis einer Studie Eigenschaften von besonders erfolgreichen amerikanischen Unternehmen heraus. Von den acht Merkmalen greifen wir hier nur vier auf: Da ist zunächst einmal das Primat des Handelns. Gemeint ist Versuch und Irrtum, gepaart mit einer gewissen Hemdsärmeligkeit. Daraus abgeleitet der Freiraum für Unternehmertum. Hier sollen Risikobereitschafft und Erfindertum bestärkende Tugenden sein. Aus Sicht der Organisation soll ein einfacher und flexibler Aufbau im Wettbewerb helfen. Dies ist eingebettet in die Forderung nach der Eleganz der Einfachheit und der Vermeidung der Matrix. Schließlich soll die Nähe zum Kunden gesucht werden. Der Kunde ist das Zentrum, er ist der Ideengeber.

Christiansen weist hier auf ein Dilemma hin. Etablierte Unternehmen sind darauf bedacht, dem Kunden immer bessere Lösungen seiner Anforderungen zu bieten. Dies allerdings führt zu inkrementeller Verbesserung und nicht zu disruptiven.

Führungsprinzipien

Maucher entwickelt für Nestlé Management- und Führungsprinzipien. Im Fokus soll der Mensch und Markenprodukte stehen und weniger Systeme. Zu den gelebten organisatorischen Prinzipien hält er flache Strukturen mit wenigen Hierarchieebene aber mit breiten Kontrollspannen für wichtig. Dies zielt darauf ab, ein Mikro-Management zu verhindern. Er plädiert für klare Verantwortlichkeiten: Auf jeder Stufe der Organisation ein Team mit Spitze, nicht ein Team als Spitze.

Die Anpassungsnotwendigkeiten und Veränderungsgeschwindigkeiten erfordern von jedem Einzelnen, die Bereitschaft mehr Verantwortung zu übernehmen. Dieser Anspruch lässt sich auf drei Ebenen diskutieren.

  1. Den Kompass setzen:
    • Mutige, schnelle Entscheidungen, kalkulierbare Risiken, kunstruktiver Widerspruch
    • Keine (Rück-)Delegation in die Hierarchie
    • Experimentelles Vorgehen und die Toleranz von Fehler
    • Besser werden, Innovationsmindset, hohe Innovationsrate
  1. Den Rahmen gestalten:
    • Schlanke Strukturen und automatisierte Prozesse
    • Moderne Tools und Methoden
    • Daten-Management zur Entscheidungsfindung
    • (Digitale) Geschäftsmöglichkeiten (z.B. Plattformen, ChatGPT) erkennen und monetarisieren
  1. Entwicklungsmöglichkeiten schaffen:
    • Übernahme von Verantwortung auch ohne explizite Rolle
    • Individuelle Potentiale entwickeln
    • Notwendige Freiräume und Entwicklungsperspektiven für Mitarbeiter und Teams
    • Keine Absicherungsroutinen und Bürokratie

Organisationsentwicklung

Für die Perspektive der Unternehmensentwicklung leiten sich daraus drei Gestaltungsebenen mit insgesamt neun Handlungsebenen ab. Dieses System beginnt mit den Unternehmenswerten. Es bindet in der zweiten Gestaltungsebene, die Governance (Struktur, Prozesse, Regeln), die Kultur und den Purpose ein. Im dritten Layer wird die Arbeitsebene (Anreize, Mitarbeiter, Art der Kommunikation, Systeme, Veränderungsfähigkeit) adressiert.

Jede dieser Handlungsdimensionen lebt in der Verbindung mit den anderen Dimensionen und weist für das einzelne Unternehmen ein individuelles Stärken- und Schwächenprofil aus. Dieses Profil hat eine dem Lebenszyklus angepasste Dynamik, die im Zeitverlauf zu adjustieren ist.  Der sich ergebende Handlungsdruck ist für einzelne Unternehmen völlig unterschiedlich, da er maßgeblich von Entscheidungen, und damit verbunden, den Vorurteilen des Managements aus der Vergangenheit, geprägt wurde. Die “Impulse” können beispielsweise die eigene Fehlerkultur, der Innovationsdruck, die Mitarbeiterzufriedenheit oder die Kundenweiterempfehlungsrate (NPS) sein.

Um in dem Bild zu bleiben, es gilt ja die „unschlagbare Organisation“ und die im Zeitverlauf wichtigen Weichenstellungen dazu vorzunehmen. Die Eigenschaften dazu zu finden, auszuprägen und miteinander in Verbindung bringen.

Das Orchestrieren dieser Eigenschaften bei dem eingeschlagenen Weg der Organisationsentwicklung ist dabei von zentraler Wichtigkeit – wenn man so will, die Königsdisziplin.

Der „Aufschlag“ einer Organisationsentwicklung ist wichtig. Schließlich sind die Mitarbeiter mitzunehmen. Es gilt ein so verherendes Bild, das der Vorstand der Commerzbank abgibt zu vermeiden. Nur ein Viertel der Mitarbeiter geben in einer internen Umfrage an, dass die Entscheidungen, die der Vorstand trifft, nachvollziehbar seien. (Handelsblatt, 16.10.2023)

Klare Diagnose und schonungslose Offenheit der Ausgangssituation sind ein zentrales Aufgabenpaket bei einem Projektstart zur Organisationsentwicklung. Hier gibt beispielsweise die Automotive-Sparte von Continental Orientierung: „Strukturen zu vereinfachen und Funktionen zu reduzieren ist wesentlich für unsere erfolgreiche Zukunft.“ Der Anspruch: „Alle Funktionen und Prozesse werden ergebnisoffen analysiert.“ (Handelsblatt, 14.11.2023)

Das Feedback der Organisation ist einzuholen – Mitarbeiter und Führungskräfte sind hier gleichermaßen gefragt. Diese Ergebnisse sind zu konsolidieren und mit den Fakten der Diagnose zu verbinden. Die sich herauskristallisierenden Prioritäten werden in einem weiteren Arbeitspaket „Richtung“ diskutiert. Ambitionen, Ziele und Freiräume werden dort abgesteckt.

Prioritäten fließen in eine zu gestaltende Projekt-Governance ein, die die Zielrichtung genauso absichert, wie mögliche Anpassungen.

In Abhängigkeit der Ergebnisse der hier skizzierten Arbeitspakete werden dann Konzepte für das Organisations-Design, die Zukunftsfähigkeit, die Beseitigung der bestehenden Engpässe, beispielsweise der Talente, oder auch Ansätze der Vereinfachung von Strukturen und Abläufen, im Sinne der Eleganz der Einfachheit, erarbeitet.

Fazit

Wenn man sich einmal von strukturgebenden Merkmalen (Funktionen, Divisionen, Regionen, Matrix) von Organisationen löst, dann gilt es vor allem Eigenschaften von Organisationen zu identifizieren, die einen Wettbewerbsvorteil bewirken können. Diese unterscheiden sich jedoch für einzelne Unternehmen, da Kulturen und die Historien, eben der Lebenszyklus, voneinander abweichen. Gerade die Einordung von jeweils individuellen Stärken und Schwächen ist zentral, um bei der Organisationsentwicklung mit dem richtigen Fokus und den notwendigen Prioritäten voranzuschreiten. Vermutlich gibt es eine unternehmensindividuelle DNA, der man bei der Weiterentwicklung von Unternehmen Rechnung tragen muss. Und den Weg dazu zu definieren, ist der Mühe wert.

 

Über den Autor

Dr. Harald Münzberg ist Senior Advisor der TCI. Seine Arbeit bezieht sich auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Steigerung der organisatorischen Leistungsfähigkeit. Er hat ausgeprägte Industrie- und Handelserfahrung und unterstützt beispielsweise Unternehmen der FMCG bei der Durchsetzung von Preis- und Konditionensystemen.

Literatur:

Bezos, Jeff: Letter to the shareholder 2016, Amazon Annual Reporting

Christensen, Clayton M.: The Innovators’s Dilemma, New York 1997

Christensen, Clayton M.: Interview der Haufe Online Redaktion anlässlich dem Global Drucker Forum in Wien, Dezember 2016

Hemel, Ulrich: Wert und Werte – Ethik für Manager, Wien 2005

Mintzberg, Henry: Understanding Organizations …Finally, Oakland 2023

Peters, Thomas, J.; Waterman, Robert, H. Jr.: In Search of Excellence – Lessons from America’s Best-Run Companies, 1982

Schwenker, Burkhard; Müller-Dofel, Mario: Gute Führung – Über den Lebenszyklus von Unternehmen, Köln 2012

Simon, Herbert A.: Theories of decision making in economics and behavioural science, in: America Economic Review, Voll. 49, No. 3, 1959, S. 253-283

Ausgewählte Beiträge aus dem Handelsblatt

Versicherungsbote, 7.11.2022: Allianz-Chef Oliver Bäte zerlegt mit Wutrede eigene IT-Strategie

Quelle Coverbild: © Marko | Adobe Stock

Über den Autor

Dr. Harald Münzberg

Dr. Harald Münzberg

Teile diesen Artikel auf Social Media

Weitere Blogartikel

Mehr aus unserem Blog

Harrlachweg 2

68163 Mannheim
Deutschland

KONTAKT

Sie haben eine Anfrage? Gerne!

© 2024 TCI • Alle Rechte vorbehalten.