„Kunden wissen heute besser, was sie wollen“ – Interview über Kundenzentrierung mit Frank Bunge und Wolf Nöding

Georg Leppelmann

Georg Leppelmann

5. März 2021

Sind Kunden heute anspruchsvoller? Ja und nein – Frank Bunge und Wolf Nöding, Experten für Kundenzentrierung, sind der Ansicht, dass Kunden heute durch ihre Kaufentscheidung mehr Macht ausüben können und so auf das Angebot der Unternehmen einwirken. Sie haben zwar nicht unbedingt höhere Ansprüche – sind sich dieser aber stärker bewusst und erwarten deren Erfüllung. Im Interview erklären die Autoren des Beitrags „Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die Lösungsbereiche einer erfolgreichen Customer-Experience-Strategie“ im Band zwei des Sammelbandes zum Enterprise Transformation Cycle, worauf Unternehmen beim Thema Kundenzentrierung heute achten müssen.

Hier geht’s direkt zu Teil 2 des Interviews mit Frank Bunge und Wolf Nöding: Wer Customer Experience verbessern will, muss outside-in denken!

Kundenerwartungen ändern sich mit der Welt um uns herum

Katja Heumader: Sind die Kunden von heute anspruchsvoller als die von vor zehn Jahren?

Wolf Nöding: Kurz gesagt: ja. Das ist relativ leicht nachvollziehbar. Wir müssen ja nur einmal von unserem eigenen Kaufverhalten ausgehen. Erwartungshaltungen wachsen. Anforderungen, die früher noch als so genannte „Performance Anforderungen“ galten, werden heute als „Basis Anforderungen“ eingestuft. Ein wichtiger Maßstab sind die positiven Erfahrungen, die wir in täglichen Situationen machen. Nehmen wir beispielsweise einmal das Checkin bei Flügen via Mobile App – das galt vor einigen Jahren noch als ein gewisses Extra. Heute wird es von Kunden bei Flugunternehmen als ganz selbstverständlich angesehen. Unternehmen, die sich auf die Komfortunterstützung ihrer Kunden konzentrieren, sind in einem ständigen Innovations- und Optimierungsprozess und verbessern dadurch ihre Kundenbeziehungen.

Frank Bunge: Ich glaube nicht, dass die heutigen Kunden wirklich anspruchsvoller sind. Sie sind sich nur Ihrer Ansprüche bewusster und sprechen diese auch aus. Wir leben in einer VUCA-Welt: Die Kundenerwartungen ändern sich ebenso schnell wie die Umwelt um sie herum.

Schauen wir nur das hinter uns zurückliegende Corona-Jahr an, zum Beispiel die Hotelbranche. In den vergangenen Jahren waren Reisen mit hoher Sicherheit planbar. Stornierungsfristen hatten eine untergeordnete Bedeutung. Diese Planbarkeit war 2020 deutlich reduziert und bleibt es vielleicht auch 2021. Flexibilität ist gefordert. Daher legen Kunden hohen Wert auf Flexibilität bei der Stornierung. Die Hotellerie möchte im gleichen Rahmen mehr Sicherheit und eigentlich eher schlechtere Stornierungsbestimmungen durchsetzen. Der Kunde wird aber nur bei ihm buchen, wenn er kurzfristig absagen kann, ohne bezahlen zu müssen. Gebucht werden also die Hotels, die diese Flexibilität gewährleisten. Die Kundenmacht ist deutlich gestiegen. Die Ansprüche in Summe nicht.

Kundenzentrierung bedeutet, auch unbewusste Wünsche zu erkennen

KH: Wieso reicht es nicht mehr, ein Top-Produkt oder eine exzellente Dienstleistung anzubieten? Was macht Kundenzentrierung darüber hinaus aus?

FB: Ein kundenzentriertes Unternehmen muss ganzheitlich über die gesamte Lebenszeit der Produkte die Erwartungen und Bedürfnisse – auch die implizit vorhandenen – der Kunden erkennen und erfüllen. Nur wenn das Unternehmen die unausgesprochenen, versteckten Erwartungen an jedem Berührungspunkt identifiziert und erfüllt, wird es seine Kunden begeistern und damit langfristig binden.

Eine einzige negative Kundenerfahrung reicht aus, die Kaufentscheidung eines Kunden infrage zu stellen. Und von 100 unzufriedenen Kunden reklamieren nur sechs. 94 gehen einfach. Hinzu kommt: Kundenzufriedenheit, also Erfüllen der Erwartungen, die der Kunden offen ausspricht, reicht nur aus, um das aktive Abspringen des Kunden zu verhindern.

WN: Ein Top-Produkt bietet nach wie vor in vielen Fällen das wichtigste Qualitätsmerkmal. Doch was bedeutet dies für ein Produkt, das aus Kundensicht nicht ausschließlich durch den reinen Verkauf wahrgenommen wird, sondern auch in früheren Customer Journey Phasen wie der „Inspiration“ und „Beratungs“-Phase? Nehmen wir auch hier wieder unser Hotel-Beispiel: Bei Online-Hotelbuchungen sind die Hotelvergleiche auf den jeweiligen Plattformen bereits ein wichtiger Erfahrungsbereich. Hier sind die positiven Plattformerfahrungen wichtiger. Sie wirken sich sehr stark auf Umsatz und Conversion aus.

KH: Aus welchen Elementen setzt sich die Customer Experience zusammen?

FB: Customer Experience ist aus meiner Sicht in erster Linie ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren: Customer Experience selbst mit der ganzheitlichen Zentrierung auf den Kunden wie eben beschrieben. Wichtig ist ergänzend auch die Konzentration auf den Anwender des Produktes oder die Dienstleistung – Die User Experience.

Denken wir an die Erfahrungen beim Online-Kauf. Ein Großteil der Kunden springt hier bereits bei den ersten Schritten ab, wenn er nur schauen möchte, ob der Shop seine erwarteten Produkte vertreibt. Muss er dann bereits zu viele Informationen von sich preisgeben, oder ist der Prozess zu kompliziert, springt er ab – ohne dass der Lieferant überhaupt merkt, dass es einen Interessenten gibt. So setzt sich unzureichende User Experience über den gesamten Prozess fort und führt zu Absprüngen an den verschiedenen Touchpoints. Daher reicht es nicht aus, ein Produkt zu haben, dass die grundsätzlich erwarteten Funktionalitäten erfüllt. Es muss auch in der Anwendung leicht zu bedienen sein. Als dritte Komponente ist das eigene Unternehmen mit der Employee Experience beteiligt. Denn nur begeisterte Mitarbeiter werden auch ihre Kunden begeistern.

WN: Wenn wir von „Elementen der Kundenzentrierung“ sprechen, ist vermutlich das Customer Experience Management als aktiver Wirkungsbereich gemeint. Denn die Produkterfahrung die der Endkunde wahrnimmt, findet immer und kontinuierlich an jedem Touchpoint statt – erst einmal unabhängig davon, wie gut das jeweilige Unternehmen diese unterstützt. Durch das Customer Experience Management finden Unternehmen, die eine Kundenzentrierung als Strategie verfolgen, ein Framework, um wichtige davon abhängige Faktoren rund um die Produkt- und Dienstleistungserfahrung kontinuierlich zu verbessern. Wichtige Bereiche dabei sind „Customer Insight“, „Customer Intelligence“ und die Entwicklung von neuen „Experience Lösungen“ für Endkonsumenten. Eine zentrale Anforderung ist es, diese drei Hauptbereiche in einen gemeinsamen Zusammenhang zu bringen, um möglichst großen Business Value zu generieren.

KH: Welche Entwicklungen tragen dazu bei, dass die Customer Experience immer wichtiger für Unternehmen wird?

WN: Neben vielen anderen stehen folgende drei Entwicklungen als erfolgskritisch für die meisten Unternehmen:

  1. Positionierung: Die Notwendigkeit, das bestehende Geschäftsmodell weiterzuentwickeln
  2. Markt-Differenzierung: Die kürzeren Intervalle Service- und Produktanpassungen an neue Kundenbedürfnisse
  3. Optimierung und Automatisierung von Kundenabläufen, um Kosten zu sparen.

FB: Unternehmen fällt es immer schwerer, sich mit ihren eigentlichen Produkten oder Dienstleistungen von der Masse abzuheben. Technische Innovationen werden schnell vom Wettbewerb aufgeholt. Ein Jahr später ist es schon der Wettbewerber, der mit seiner Innovation die Nase vorn hat. Wie oben beschrieben, sind Kunden zwar an sich nicht anspruchsvoller; sie sind sich aber (vieler) ihrer Ansprüche bewusst und erwarten, dass diese erfüllt werden. Dazu kommen noch viele unbewusste Erwartungen und Bedürfnisse, die Unternehmen identifizieren sollten. Denn nur Unternehmen, die diese Erwartungen auch perspektivisch erkennen und erfüllen, werden langfristig am Markt bestehen bleiben – kommt nicht von mir, sondern von der ehemaligen Marketingvorständin der Otto Group.

KH: Sie selbst schreiben, dass Emotionen eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für den einen oder den anderen Anbieter spielen. Gibt es dennoch objektive Kriterien für eine positive Customer Experience?

FB: Objektiv messbar ist der Grad der Erfüllung der Erwartungen. Die zwar umstrittene aber nach wie vor am meisten genutzte Kennzahl ist hier der Net Promotor Score (NPS) ergänzt durch den etwas neueren Net Easy Score (NES). Hier geben Kunden auf einer Scala von 0-10 an, wie wahrscheinlich es ist, dass sie den Lieferanten weiterempfehlen. Beim NPS geht es um das Produkt oder die Dienstleistung an sich und beim NES um den Umgang des Lieferanten mit dem Kunden und die Frage, wie leicht es war, mit dem Lieferanten zu kommunizieren.

WN: Emotionen und objektive Kriterien stehen ja sehr oft in engem Zusammenhang. Fühlt sich ein Kunde sicher in einem Kaufprozess, dann wirkt sich das meist auch positiv auf die Conversion aus.

Im Zusammenhang von objektiven Kriterien werden als Indikatoren für eine positive Customer Experience beispielsweise oft folgende genannt: NPS, CSI, FTR (first time right), Churn Rate Reduction, positive beziehungsweise negative Online Feedbacks, Brand Reputation und viele mehr. Typischerweise sind diese sehr produktspezifisch.

Möchte man die genannten Indikatoren für Customer Experience in Zusammenhang von Business-Outcomes stellen, so definiert man dazu relevante OKS (Objective Key Results), um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen.

KH: Lieber Herr Bunge, lieber Herr Nöding, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch über die Zukunft der Kundenzentrierung.

Das Interview mit Frank Bunge und Wolf Nöding führte Dr. Katja Heumader für die TCI-Redaktion.

„Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“ – erschienen August 2020

Die Transformation Consulting International begleitet seit vielen Jahren national und international Transformationsprojekte in Unternehmen. Basierend auf diesem umfangreichen Erfahrungsschatz zur praktischen Umsetzung ist nach dem ersten Band „Der Enterprise Transformation Cycle“ der zweite Band mit dem Titel „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen“ im renommierten Springer-Verlag erschienen. Als Weiterführung zum ersten Band berücksichtigt dieser weitere Wünsche und Anregungen von Lesenden und legt konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Expert*innen der TCI in ihrer täglichen Anwendung des ETC dar. Herausgeber des über 500-seitigen Bandes sind Mario A. Pfannstiel und Peter F.-J. Steinhoff. Sie finden darin zahlreiche theoretisch-konzeptionelle Beiträge sowie Fallbeispiele aus der Praxis zum „Enterprise Transformation Cycle“.

Quelle Coverbild: © bnenin | Adobe Stock

Über den Autor

Georg Leppelmann

Georg Leppelmann

TCI Partner Dr. Georg Leppelmann begleitet Banken und Dienstleister mit systemischen und lösungsfokussierten Konzepten als NLP-Master, Agile Scrum Master und Product Owner. Die Ziele: Lebendige Kooperation und Führung mit Sinn.

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