Customer Experience entsteht durch die Optimierung aller Touchpoints, also Berührungspunkte zwischen Kunden und Unternehmen. Oft sind diese aus Unternehmenssicht nicht offensichtlich – es lohnt sich aber, genau hinzuschauen und die Berührungspunkte zu analysieren. Denn Unternehmen, die eine Customer-Experience-Strategie verfolgen, wachsen stärker und generieren mehr Umsatz.
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Eine solide Datenbasis ist die Grundlage für Customer Experience
Katja Heumader: Mit welcher Strategie lässt sich die Customer Experience verbessern?
Wolf Nöding: Es ist schwierig, diese Frage pauschal zu beantworten, da das Vorgehen und die Strategien sehr auf die jeweilige Unternehmenssituation und laufende Programme, wie zum Beispiel Online-Strategien oder Geschäftserweiterungen ausgelegt sind. Bewährt haben sich aber Roadmaps mit mehreren Phasen, die sich an den Stufen von Customer-Experience-Reifegradmodellen orientieren und schrittweise vorgehen.
In kundenzentrierten Prozessen spielen Transparenz und Insights eine große Rolle. Daher ist es im ersten Schritt empfehlenswert, eine solide, zumindest minimale Datenbasis für qualitative und quantitative Insights über die Zielgruppe zu generieren, um daraus Entwicklungsmaßnahmen mit Mehrwerten für die Zielgruppe ableiten zu können.
Als zweites folgen, neben technischen und business-relevanten Aktivitäten, die Einplanung und Priorisierung von Entwicklungen, die die Zielgruppe bei der Nutzung der Services und Produkte unterstützen.
Und schießlich gilt es, wichtige Stakeholder ins Boot zu holen, um Support für weitere wertvolle Customer Experience-Maßnahmen zu bekommen. Idealerweise erkennen diese den Mehrwert für ihre eigenen Rollen und Business-Ziele, und engagieren sich entsprechend.
KH: Welche Rolle spielen Daten und ihre Auswertung bei der Optimierung von Touchpoints?
WN: Um zu wissen, in welchen Kundenkontakten (Touchpoints) das Unternehmen welchen Handlungsbedarf hat, sind möglichst umfangreiche Informationen erforderlich. Auf Fragen wie, „Was sind die meisten Kundenanfragen?“, „Worüber gibt es die meisten Beschwerden?“, „Wo in der Online-Strecke haben Kunden Schwierigkeiten?“ sollten die Antworten bekannt sein. Für Unternehmen ist das erfolgsrelevant.
Frank Bunge: Ganzheitliche Customer Experience muss an jedem einzelnen Berührungspunkt des Kunden mit dem Unternehmen ansetzen – hier sind die Berührungspunkte aus reiner Kundensicht gemeint – also outside-in! Da sind einige Touchpoints enthalten, die nur seitens des Kunden erfolgen, ohne direkte Sichtbarkeit des Lieferanten. Zum Beispiel die Suche nach einem Fehler. Die Verständlichkeit einer Aufbauanleitung, … Daher ist es wichtig, alle Berührungspunkte zu identifizieren und zu analysieren. Dort können Daten aus Kundenbefragungen helfen. Wichtig ist hier aber auch das Wissen über die Kunden als Person (Persona) mit ihren faktischen und emotionalen Erwartungen und Bedürfnissen. Sind die Schwachstellen der Customer Journey an den einzelnen Touchpoints identifiziert und Maßnahmen zur Verbesserung eingeleitet, muss man wiederum über Daten – beispielsweise den NPS (Net Promoter Score) und NES (Net Easy Score) die Wirksamkeit messen. Oft hört man nur von Customer Journey Mapping, bei dem die Erfahrungen an den einzelnen Touchpoints aufgezeigt werden. Wichtig wäre aber proaktives Customer Journey Design, bei dem mögliche negative Erfahrungen vorab identifiziert und vermieden werden. So lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen.
Customer Experience fordert das ganze Unternehmen
KH: Welche Unternehmensteile sind an der Verbesserung der Customer Experience beteiligt und wo liegen ihre jeweiligen Aufgaben?
FB: Ein Customer Experience-Mindset sollte es bei jedem Mitarbeiter im Unternehmen geben. Denn Kunden-Lieferanten-Beziehungen gibt es auch intern. Letztendlich sollte jeder interne Prozess auch mehrwertgenerierend für den Endkunden sein. Das sollte ja auch gar nicht so schwierig sein: Jeder Mitarbeiter sollte seine Kunden so behandeln, wie er es auch selbst als Kunde erwartet.
Wichtig ist, dass dieses Mindset Top-Down vorgelebt wird. Wenn eine Unternehmensführung explizit Wachstum und Profit vor Kundenorientierung stellt, wird es schwierig, ein Customer-Experience-Mindset im Unternehmen zu etablieren. Diese Unternehmensführungen sollten beachten, dass es mittlerweile genug Studien gibt, die nachweisen, dass die Unternehmen am stärksten wachsen und den höchsten Profit erzielen, die den Kunden in ihrem Denken und Handeln in den Mittelpunkt stellen. Das ist auch logisch: Diese Unternehmen binden ihre Kunden nachhaltig durch Kundenbegeisterung. Und – was noch mehr zählt – Kunden sind auch bereit, für guten Service zu bezahlen, während sie bei schlechtem Service gehen und im schlimmsten Fall auch noch ihren Unmut in den sozialen Medien verbreiten. Ohne Kunden können Unternehmen weder wachsen noch Profit generieren.
KH: Wie hängen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit zusammen?
FB: Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource in Unternehmen. Die Unternehmenstreue unterscheidet sich bei jüngeren Generationen stark von den älteren Generationen. Die Stehzeit ist deutlich kürzer. Das heißt für Unternehmen, sie müssen sich stärker bemühen, gute Mitarbeiter zu halten, um Kontinuität bei der Kundenansprache zu gewährleisten. Gleichzeitig benötigt man begeisterte Mitarbeiter, um Kunden zu begeistern. Daher werden seit einigen wenigen Jahren mit steigender Bedeutung Customer Experience und Employee Experience verlinkt. Nur Unternehmen, die Employee Experience für genauso wichtig erachten wie Customer Experience (und natürlich User Experience) werden erfolgreich sein und bleiben. Ich rede hier gerne übergeordnet von HX – wobei das H sowohl für holistic als auch für human steht – human, weil immer der Mensch im Mittelpunkt steht.
KH: Welche Unternehmensstrukturen und -kulturen fördern bzw. behindern eine positive Customer Experience?
WN: Ich würde aus langjähriger Projekterfahrung sagen, dass diese Frage fast den wichtigsten Punkt von allen adressiert, nämlich die Unternehmenskultur. Diese ist vermutlich der ausschlaggebende Punkt bezüglich einer erfolgreichen Customer Experience im Unternehmen!
Als erstes ist es sinnvoll zu unterscheiden, ob ein Unternehmen überhaupt aktiv eine Kundenzentrierte Strategie (Customer Experience Strategie oder Vergleichbares) – mit den dafür erforderlichen Aktivitäten – oder ein „klassisches Geschäftsmodell“ verfolgt.
Angenommen, es besteht ein „Top-Down“-Auftrag auf C-Level, dann sind teamorganisatorische Mechanismen sehr wichtig. Teams, die hoch interdisziplinär und mit hoher Selbstverantwortung agieren können, sind meist um einiges erfolgreicher als klassisch hierarchisch organisierte Abteilungen und Teams.
KH: Wenn die Unternehmenskultur und die Arbeitsweisen sich so stark auf die Customer Experience auswirken, lassen sich dann überhaupt schnelle Verbesserungen bei der Kundenerfahrung erzielen?
WN: Ganz klar, ja. Man kann aus Erfahrung viele Quick-Wins bereits in den ersten Phasen, ohne große Aufwände, erreichen.
KH: Danke für diesen klaren und optimistischen Ausblick!
Das Interview mit Frank Bunge und Wolf Nöding führte Dr. Katja Heumader für die TCI-Redaktion.
„Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“ – erschienen August 2020
Die Transformation Consulting International begleitet seit vielen Jahren national und international Transformationsprojekte in Unternehmen. Basierend auf diesem umfangreichen Erfahrungsschatz zur praktischen Umsetzung ist nach dem ersten Band „Der Enterprise Transformation Cycle“ der zweite Band mit dem Titel „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen“ im renommierten Springer-Verlag erschienen. Als Weiterführung zum ersten Band berücksichtigt dieser weitere Wünsche und Anregungen von Lesenden und legt konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Expert*innen der TCI in ihrer täglichen Anwendung des ETC dar. Herausgeber des über 500-seitigen Bandes sind Mario A. Pfannstiel und Peter F.-J. Steinhoff. Sie finden darin zahlreiche theoretisch-konzeptionelle Beiträge sowie Fallbeispiele aus der Praxis zum „Enterprise Transformation Cycle“.
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