Dienstleistungen im Fokus: „Vom Produzenten zum Dienstleister – das ist ein Paradigmenwechsel“ – Interview mit Frank Bunge und Michael René Weber

Frank Bunge

Frank Bunge

30. April 2021

Als Anbieter:in von Dienstleistungen gilt es, die Wünsche der Kund:innen zu verstehen. Im B2B-Bereich kommt noch eine Ebene hinzu: Das Dienstleistungsunternehmen muss die Wünsche der Kund:innen verstehen. So entsteht ein Co-Creation Prozess zwischen den beiden Unternehmen, der zum Erfolg führt. Frank Bunge und Michael René Weber, Autoren des Beitrags „Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für Kundenbegeisterung und Wachstum“ im Band II zum Enterprise Transformation Cycle, erklären, worauf es bei Dienstleistungen heute ankommt und warum Dienstleistungen die Zukunft sind.

Anmerkung der TCI-Redaktion: Lesen Sie hier auch Teil 1 des Interviews mit Frank Bunge und Michael René Weber: Service-Orientierung macht den Unterschied: Kundenbindung durch Zusatzleistungen

Qualitätskriterien für Dienstleistungen

Katja Heumader: Nach welchen Kriterien werden Dienstleistungen von Kund:innen bewertet – im Gegensatz zu den Kriterien für Produkte?

Michael René Weber: Kriterien für die Bewertung von Dienstleistungen sind in der Service-Exzellenz-DIN definiert. Daneben gibt es zahlreiche weitere „Service Check“-Aktivitäten, vom TÜV und anderen privaten Organisationen. Ob dies dann automatisch auch die Bewertungskriterien der Kund:innen aller Dienstleistungsunternehmen sind, vermag ich in dem heterogenen Markt der Dienstleistungen nicht zu bewerten. Häufig sind einige individuelle oder spezielle Kriterien, entsprechend Branchen oder Leistungsanforderungen ergänzt oder anders gewichtet.

Die Interntional Business School of Service Management (ISS) setzt für die Bewertung von Dienstleistungen den ISS Service Kompass ein, der wissenschaftlich basiert mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen erarbeitet wurde und die Exzellenzkriterien der DIN-Norm mit berücksichtigt. Wir arbeiten mit 26 Erfolgsfaktoren und neun Polen, an denen sich die Servicefähigkeit einer Organisation ausmachen lässt. Befragt werden dabei interne Mitarbeiter:innen, Kund:innen und auch Partner:innen.

Die DIN fokussiert: Fachliche Kompetenz, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Termintreue. Weitere Punkte sind Schnelligkeit, Kommunikation und Verhalten, die Zugewandtheit zum:r Kund:in. Wir übersetzen das in drei Aktivitätsfelder für Unternehmen:

  1. Strategische Ausrichtung, Führung und Prozesskompetenz
  2. Kundenkompetenz
  3. Mitarbeiterkompetenz

KHE: Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) stellt „Werte und Prinzipien“ in den Mittelpunkt von Transformationsprozessen. Beim Wandel zum Dienstleistungsunternehmen: Welche Werte und Prinzipien stehen für die Unternehmen typischerweise im Vordergrund?

Frank Bunge: Aktuell sind die meisten Unternehmen nach wie vor produktzentriert. Werte und Prinzipien mögen eine Rolle spielen – aber dann nur von innen nach außen gerichtet. Der Kundenblick fehlt – Unternehmen müssen lernen, die Kundenbrille aufzusetzen und von außen nach innen zu blicken. Dann erkennen sie den Veränderungsbedarf, der die angestrebte Kundenbindung erzeugt.

KHE: Wie kann der ETC den Wandel – oder die Erweiterung – eines Geschäftsmodells zum Dienstleister unterstützen?

FBU: Ein besonderes Merkmal des ETC ist die mehrdimensionale Ganzheitlichkeit. Alle Facetten eines Unternehmens sollen beim Transformationsprozess berücksichtigt werden, und zwar über den gesamten Prozess und unter Berücksichtigung der Anforderungen von Kund:innen, Environment und Unternehmenswerten – nicht zu vergessen den Anforderungen der Mitarbeiter:innen als wichtigste Ressource für die Leistungserbringung entsprechend der Ziele und Erwartungen.

Dienstleistungsunternehmen denken an Kund:innen der Kund:innen

KHE: Hat die Transformation zum Dienstleistungsunternehmen auch Konsequenzen für die interne Organisation eines Unternehmens?

MRW: Vom produzierenden Unternehmen zum Dienstleistungsunternehmen – das ist ein Paradigmenwechsel! Was macht den Unterschied aus?

Ein Produzent optimiert die eigene Produktion und sein eigenes Business. Ein Dienstleister unterstützt, hilft der Kundschaft, deren Business zu verbessern. Übrigens: Jeder Produzent wird uns erläutern, dass er nur „Dinge“ produzieren will, die sich sein:e Kund:in wünscht und die diesem:r auch Nutzen bringen. Dafür beschäftigt er Marktforschungsinstitute und lässt das Produktmanagement erklären, was entwickelt werden soll und wie der Vertrieb den Nutzen an Kund:innen verkauft. Und – der Produzent will bezahlt werden, wenn er geliefert hat – und nicht für den Betrieb beim Kunden verantwortlich sein.

Nehmen wir den Handtuchlieferanten aus dem Interview der vergangenen Woche. Als Produzent verkauft er und die Handtücher gehören jetzt dem Hotel. Eventuell organisiert dieser Produzent noch für seinen Kunden die Reinigung der Handtücher und hat damit den Auftrag erhalten – gegenüber einem anderen „nur“ Lieferanten. In dem Fall hat er einen ersten Schritt in Sachen „Servitization“ gemacht.

Als Dienstleister stellt er dem Hotel jeden Morgen die gewünschte und vereinbarte Menge an Handtüchern zur Verfügung und nimmt die Gebrauchten wieder mit. Menge, Farbe und Qualität der Handtücher sind vereinbart – und dafür, dass das immer stimmt, ist der Dienstleister verantwortlich.

Jetzt der wesentliche Unterschied: Handtücher, die verschlissen sind, muss der Dienstleister in seiner Verantwortung austauschen, er liefert ja jeden Morgen die vereinbarte Menge und Qualität. Jetzt muss er überlegen, wie lange ein Handtuch hält, wie schonend die Reinigung erfolgen kann, damit die Qualität lange erhalten bleibt, auch welches Material er nutzt, um nachhaltig zu arbeiten. Vielleicht hat der Handtuchdienstleister das Schild auf dem Zimmer im Hotel initiiert, mit dem der Gast aufgefordert wird, seine Handtücher im Sinne der Umwelt mehrfach zu nutzen – es spart nicht nur Wasser und Reinigungsmittel, es erhält auch die Handtuch-Qualität.

Gehen wir noch einen Schritt weiter – als guter Dienstleister beobachte ich die Kund:innen meines Kunden – also die Hotelgäste, welche Anforderungen haben Sie an Handtücher? Ist das ein wesentlicher Punkt zum Wohlfühlen? Kann also der Handtuchdienstleister dazu beitragen, dass die Bewertung des Hotels durch die Gäste steigt?

Co-Creation als Geschäftsmodell

Jetzt wird deutlich, was es bedeutet, ein professioneller Dienstleister zu sein. Es geht nicht um das Handtuch – es geht um den bestmöglichen Beitrag zum Business des Kunden, zur Steigerung von Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Ertrag – und um das gemeinsame Denken, mit dem Ziel, den Nutzen auch für den Kunden des Kunden zu steigern!

Die Schnittstelle zum Kunden macht also deutlich: Der Weg vom Produzenten zum Dienstleister ist eine grundlegende Transformation des Geschäftsmodells, es bedeutet ein Paradigmenwechsel zu wollen und umzusetzen.

Und jetzt die Antwort auf die Frage, ob diese Transformation auch Auswirkungen auf die interne Organisation hat. Ja – denn jetzt sind nicht mehr das Produkt und die eigene Produktion im Fokus, jetzt ist es der Kunde des Kunden – ein Quantensprung, den viele Organisationen sich nicht trauen zu gehen. Der Vertrieb erklärt nicht mehr, wie gut das eigene Produkt ist und welchen Nutzen es hat – er muss jetzt das Business seines Kunden verstehen, sich dafür interessieren und bereit sein, mit seinen Kunden in einem Co-Creation Prozess neue Lösungen zu erarbeiten.

Dieses Interesse für Kunden ist Voraussetzung für den Erfolg eines Co-Creation Prozesses, Interesse für jede:n einzelne:n Kund:in und die individuelle Lösung. Soweit die Veränderungen im Vertrieb – es gibt dort viele Mitarbeiter:innen, die diesen Weg nicht mitgehen wollen, er sei anstrengend, finden die Einen, er sei interessant, die Anderen. Wer als Dienstleistungsunternehmen erfolgreich sein will braucht diese Anderen.

Der starke Kundenfokus hat auch intern bei Dienstleistungsunternehmen höchste Priorität! Interne Kund:innen, die Abnehmer meiner Leistungen, sind wie externe Kund:innen zu behandeln – das heißt, ich muss mich für ihr Business interessieren, die Aufgaben, die sie haben, verstehen. Nehmen wir als Beispiel eine Personalabteilung oder die IT, den Fuhrparkleiter oder die Entwicklung, die den Ideen und Vorgaben ihres Kunden, eines Produktmanagers entsprechend, arbeiten.

Alle haben interne Kund:innen, Personen im Unternehmen, denen sie helfen oder für die sie etwas tun müssen. Als Dienstleister:innen helfen sie dem Unternehmen dabei, mit externen Kunden gute Lösungen zu erarbeiten.

Noch ein abschließendes Wort zum Thema „Agilität“ – dieser Begriff ist das Mantra von Dienstleistungsunternehmen. Agilität ist ein moderner Begriff für konsequente Kundenorientierung und eine Servicementalität im ganzen Unternehmen! Wer Service kann, kann Agilität!

KHE: „Nur begeisterte Mitarbeiter können auch Kunden begeistern“ – diesen Satz liest man immer wieder. Inwiefern gilt das nicht nur für Kunden- sondern auch für Serviceorientierung?

FBU: Ganzheitliches Experience-Management umfasst Customer Experience, User Experience und eben – immer wichtiger werdend – Employee Experience. Ein:e demotivierte:r Mitarbeiter:in wird sicherlich nicht die notwendige Begeisterung aufbringen, den:die Kund:in vom Produkt und dem Service des Unternehmens zu überzeugen. Wie soll ein:e Mitarbeiter:in also kundenorientiert sein, wenn er:sie Serviceorientierung nicht verstanden hat?

Das Interview mit Frank Bunge und Michael René Weber führte Dr. Katja Heumader für die TCI-Redaktion.

„Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“ – erschienen August 2020

Die Transformation Consulting International begleitet seit vielen Jahren national und international Transformationsprojekte in Unternehmen. Basierend auf diesem umfangreichen Erfahrungsschatz zur praktischen Umsetzung ist nach dem ersten Band „Der Enterprise Transformation Cycle“ der zweite Band mit dem Titel „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen“ im renommierten Springer-Verlag erschienen. Als Weiterführung zum ersten Band berücksichtigt dieser weitere Wünsche und Anregungen von Lesenden und legt konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Expert:innen der TCI in ihrer täglichen Anwendung des ETC dar. Herausgeber des über 500-seitigen Bandes sind Mario A. Pfannstiel und Peter F.-J. Steinhoff. Sie finden darin zahlreiche theoretisch-konzeptionelle Beiträge sowie Fallbeispiele aus der Praxis zum „Enterprise Transformation Cycle“.

Quelle Coverbild: © REDPIXEL | Adobe Stock

Über den Autor

Frank Bunge

Frank Bunge

Frank Bunge ist TCI Partner und begleitet Unternehmen bei der Neuausrichtung ihrer Geschäftsprozesse zur Optimierung der Kundenbindung. Dabei blickt er auf mehr als 20 Jahre Service Excellence- und Customer Experience-Erfahrung als Geschäftsführer und Senior Manager zurück.

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