Der Komplexitätsfalle entkommen: Post-Merger-Integration (PMI)-Projekt als Paradebeispiel

Bernd Ettelbrück

Bernd Ettelbrück

23. Oktober 2020

Die Umsetzung mancher Projekte erscheint zunächst deutlich einfacher, als sie letztendlich ist – mit verheerenden Folgen für Dauer, Qualität und Budget. Gern unterschätzt werden dabei kulturelle Differenzen und andere Feinheiten, die nur auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen – selbst wenn erfahrene Führungskräfte beteiligt sind. Bernd Ettelbrück, TCI Partner und Beitragsautor im neuen Sammelband „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“, (herausgegeben von Peter Steinhoff und Mario Pfannstiel) geht auf diese Herausforderungen im folgenden Interview mit der TCI-Redaktion genauer ein. Im beschriebenen Projekt geht es um ein Post-Merger-Integration (PMI)-Projekt über die Landesgrenze zwischen Österreich und der Schweiz hinweg. Erfahren Sie jetzt, welche unvorhergesehenen Komplikationen auftraten; und wie sie sich zu guter Letzt lösen ließen.

Vorab-Anmerkung der TCI-Redaktion: Teil Zwei des folgenden Interviews erscheint voraussichtlich am Mittwoch, den 04. November 2020, hier auf tci-partners.com unter Artikel.

Ausgangslage: Für jede Lösung gab es ein Problem – fachlich, kulturell, organisatorisch

Beate Greisel: Hallo Herr Ettelbrück, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. In Ihrem Beitrag im zweiten ETC-Band geht es um ein Post-Merger-Integration(PMI)-Projekt, das sich zwischenzeitlich in einem schwierigen Umfeld befand. Was waren die größten Herausforderungen zu Beginn Ihrer Arbeit am Projekt?

Bernd Ettelbrück: Gerne, Ihr Interesse freut mich sehr. Zu Ihrer Frage: Nimmt man die Determinanten eines Projekts: Budget, Laufzeit und Qualität, beziehungsweise die Ergebnisse, war das Programm nach über einem Jahr immer noch am Anfang. Viel Geld war ausgegeben und es wurde nach jedem Quartal ein Neustart versucht, der dann scheiterte. Mit jedem Neustart wurde auch der Programmleiter ausgetauscht, was die Reputation des Programms, seiner Ziele und auch des jeweils Neuen beschädigte.

Neben diesen fachlichen Themen waren es kulturelle Herausforderungen. Verkürzt würde ich sagen, die deutsche Sprache ist das Einzige, was die Schweiz und Österreich gemeinsam haben. Kulturell, von der Einstellung und der Arbeitsweise sind die beiden Nationen grundverschieden.

Im alltäglichen Handeln sind wir oft in die Komplexitätsfalle getappt. Ein Mitarbeiter des Kunden beschrieb es treffend. Mit „one of a million cases“ wird das Programm immer wieder vollgebremst und nimmt keine Fahrt auf. Das heißt: Für jeden Lösungsansatz, jede Idee war schnell ein Ausnahmefall konstruiert, der theoretisch möglich war, praktisch aber nie auftrat – und daran arbeitete man sich ab, statt Lösungen für die Mehrzahl der Fälle zu erarbeiten und im zweiten Schritt Ausnahmen zu betrachten.

Kommunikation als grundlegende – und unterschätzte – Herausforderung

BG: Ein grundlegender Aspekt im Post-Merger-Integration-Projekt war ja die Bandbreite an Produkten für den Zielmarkt. Inwiefern hat sich denn in diesem Zuge das Produktportfolio des Unternehmens verändert – und damit auch die Mitbewerberlandschaft?

BE: Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir in den Projekten viel früher hätte stellen sollen. Das Schweizer Unternehmen bedient fast ausschließlich gewerbliche Kunden, betreibt also B2B-Geschäft, während das Österreichische Unternehmen fast vollständig auf den privaten Endkunden (B2C) zielt. Fatalerweise werden auch gleiche Begriffe verwendet, zum großen Teil auch für Produkte, die in beiden Ländern verkauft werden. Die Bereitstellung der Produkte, deren Einrichtung, also die ganzen Prozesse und die Abrechnung, laufen völlig unterschiedlich.

Dennoch – so war es zu Anfang – sitzen die Expert*innen am Tisch, sprechen von Endkunden, Provisioning und Billing, alle nicken und danach stellt sich heraus, dass Verabredungen und nächste Schritte gar nicht durchführbar sind. Auch das ist nichts, was nur in diesem Projekt vorkommt – niemand möchte sich eine Blöße geben und eine unangemessene Frage stellen, etwa, „was meinen Sie denn mit Endkunde?“ oder „wie stellen Sie denn einen Breitbandanschluss dem Kunden zur Verfügung?“. Und das galt auch für mich als dem fünften externen Programm Manager, der lieber nicht nachfragte, um zu vermeiden als inkompetent zu gelten.

Auch rückten ganz andere Wettbewerber in den Blick: „Billigheimer“ in den Augen der Schweizer waren von zentraler Bedeutung für Österreich. Wir haben gemeinsam viel gelernt, denn bei allem Respekt vor der Schweiz, es ist zumindest bei der Telekommunikation ein sehr abgeschotteter Hochpreismarkt mit extremen Margen; während Österreich im harten Wettbewerb auch mit ost-europäischen Anbietern preislich noch unter dem hart umkämpften deutschen Markt liegt. Die Schweiz konnte viel vom zukünftigen Wettbewerb lernen.

BG: Welchen Einfluss hatten die darauffolgenden Veränderungen auf die internen Strukturen im Unternehmen?

BE: Das war grundsätzlicher Natur – an die Stelle der Ländertrennung trat die Geschäftstrennung. Als wir das verstanden hatten, haben wir das Projekt völlig anders strukturiert, die Teams anders besetzt und die Prozesse an die Geschäftserfordernisse und nicht mehr an die Länder- und jeweiligen Organisationsanforderungen angepasst.

ETC: Erfolgreiches Projektmanagement durch grundlegend andere Methode

BG: Das PMI-Projekt haben Sie dann mithilfe des Enterprise Transformation Cycle, kurz ETC, auf einen erfolgreichen Weg gebracht. Was waren die Hauptherausforderungen, die mit dem ETC gelöst werden sollten?

BE: Die Hauptherausforderungen, die mit dem neuen methodischen Ansatz gelöst werden sollten, waren die Gleichen wie eben dargestellt: Weniger über Führungskräfte, Positionen, Befugnisse und Eigenheiten der Länderorganisation sprechen. Es sollte nicht mehr darum gehen, wer sein Geschäft bislang vermeintlich besser, das heißt mit der höheren Marge gemacht hat und daraus das Recht ableitete, dem anderen zu diktieren, wie „es“ besser geht. Auch das ist durchaus typisch in PMI-Projekten. Angst und Unsicherheit prägen den Alltag und da greift man auf Bewährtes zurück, das ist sehr menschlich.

Mit dem ETC haben wir das getan, was logisch ist. Ich habe gar nicht über den ETC gesprochen und versucht, die Methode zu verkaufen, sondern wir haben uns gefragt: Was wollen wir? Welche Ziele sollen erreicht werden? Welche Produkte wollen wir verkaufen? Das heißt dann auch, welche Produkte und Services müssen produziert, bereitgestellt, eingerichtet, abgerechnet, und dann gepflegt und in Stand gehalten werden?

Sie merken, die Frage nach dem Was und dem Wie impliziert eine Menge und lässt dann gar nicht mehr so viele Freiheitsgrade. Das war mein Ansatz: Wenn wir das wollen, müssen wir das und das machen. Dann haben wir im Team mindestens zwei Alternativen aufbereitet und durchgerechnet und zur Entscheidung vorgelegt. Auf einmal wurden die Managementrunden zu Entscheidungsrunden. Vorher waren es tendenziell Diskussionsrunden und das Abstecken des Terrains. Beide Unternehmen haben in der Frage, wie Prozesse zu organisieren sind und wie man das passende Personal sucht, sehr viel Erfahrung und waren sehr versiert und professionell. Es war die Herangehensweise mit dem ETC und die neue, vielleicht ungewohnte Reihenfolge, erst über Ziele und Prozesse, und erst danach über die Organisation und das Personal zu sprechen.

BG: Lieber Herr Ettelbrück, ich danke Ihnen sehr für diese hochinteressanten Einblicke! Wir setzen das Gespräch in einem zweiten Beitragsteil fort.

Das Interview mit Bernd Ettelbrück führte Beate Greisel für die TCI-Redaktion.

Lesen Sie auch Teil Zwei des Interviews: Dieses erscheint voraussichtlich am Mittwoch, den 04. November 2020, hier auf tci-partners.com unter Artikel.

„Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“ – erschienen August 2020

Die Transformation Consulting International begleitet seit vielen Jahren national und international Transformationsprojekte in Unternehmen. Basierend auf diesem umfangreichen Erfahrungsschatz zur praktischen Umsetzung ist nach dem ersten Band „Der Enterprise Transformation Cycle“ der zweite Band mit dem Titel „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen“ im renommierten Springer-Verlag erschienen. Als Weiterführung zum ersten Band berücksichtigt dieser weitere Wünsche und Anregungen von Lesenden und legt konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Expert*innen der TCI in ihrer täglichen Anwendung des ETC dar. Auch dieser Band Zwei wurde herausgegeben von Mario A. Pfannstiel und Peter F.-J. Steinhoff und umfasst gut 500 Seiten. Darin finden Sie zahlreiche theoretisch-konzeptionelle Beiträgen sowie Fallbeispiele aus der Praxis zum „Enterprise Transformation Cycle“.

(Coverbild: © Shutter B | Adobe Stock)

Über den Autor

Bernd Ettelbrück

Bernd Ettelbrück

Bernd Ettelbrück verfügt über langjährige internationale Linien- und Projekterfahrung, u.a. in der Telekommunikationsindustrie, im Patent- und Produktmanagement sowie Innovationsmanagement; aktueller Fokus: Maschinenbau und Automobilzulieferindustrie.

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