Seit 2020 erhebt das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) jährlich den Digitalisierungsindex. Dieser prüft anhand von insgesamt 37 Indikatoren, wie sich die Digitalisierung in deutschen Unternehmen verschiedener Branchen und Unternehmensgrößen entwickelt. Im Januar 2022 erschien der aktuelle Bericht zum Digitalisierungsindex. Dieser untersucht unter anderem, inwieweit der vielfach konstatierte Digitalisierungsschub durch Corona tatsächlich stattgefunden hat.
Mobiles Arbeiten und Online-Shopping – ist das schon Digitalisierung?
Mit der Corona-Pandemie und den verschiedenen Lockdowns sei ein Digitalisierungsschub einhergegangen, so wurde vielfach konstatiert. Gemeint war mit diesem Digitalisierungsschub in erster Linie ein Wechseln von Millionen Menschen ins Homeoffice oder ins Homeschooling sowie die Verlagerung des Konsums ins Internet. Amazon war einer der größten Gewinner in der Pandemie. Doch ist das schon Digitalisierung? Der Digitalisierungsindex 2021 zeigt, in welchen Branchen es tatsächlich – auch, aber nicht nur – infolge von Corona zu einem Digitalisierungsschub gekommen ist und wo Corona Digitalisierungsvorhaben in Unternehmen vielleicht sogar einen Dämpfer verpasst hat.
Digitalisierungsindex 2021 – Was wurde untersucht?
Der Digitalisierungsindex vergleicht den Digitalisierungsgrad und die Fortschritte verschiedener Branchen in mehreren Bereichen. Untersucht wurden dabei folgende Branchen:
- Grundstoffe, Chemie und Pharmaindustrie
- Elektrotechnik, Maschinenbau
- Fahrzeugbau
- Sonstiges Verarbeitendes Gewerbe
- Sonstiges Produzierendes Gewerbe
- IKT
- Handel
- Verkehr & Logistik
- Tourismus
- Unternehmensnahe Dienstleister
Innerhalb dieser Branchen gaben sich die Unternehmen im Rahmen einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft jeweils für die folgenden Bereiche Punkte, aus denen sich dann der gesamte Digitalisierungsindex einer Branche berechnet. Die Stichprobe umfasste 1.736 Unternehmen. Um Entwicklungen zu verdeutlichen, wurde der Digitalisierungsindex 2020 auf 100 normiert.
- Prozesse
- Geschäftsmodelle
- Forschungs- und Innovationsaktivitäten
- Produkte
- Qualifizierung
- Innovationslandschaft
Darüber hinaus wurden auch regionale Unterschiede sowie Unterschiede nach Unternehmensgrößen untersucht.
Fortschritte oder Rückschritte? Zu diesen Ergebnissen kommt der Digitalisierungsindex für die einzelnen Branchen
Von einem allgemeinen Digitalisierungsschub in der Corona-Pandemie kann nicht die Rede sein. Zwar verzeichnen einige Branchen Fortschritte in Sachen Digitalisierung, die mal größer, mal kleiner ausfallen. Jedoch gibt es auch Branchen, in denen die Digitalisierung einen Rückschritt machte oder zumindest stagnierte. Zu diesen Ergebnissen kommt der Digitalisierungsindex für die einzelnen Branchen:
Fahrzeugbau
Der Fahrzeugbau verzeichnet eine leichte Verbesserung. In Sachen Forschung und Innovation ist der Fahrzeugbau Spitzenreiter. In Sachen digitale Geschäftsmodelle schneidet er jedoch schlecht ab.
Elektrotechnik und Maschinenbau
Auch wenn der Digitalisierungsindex für Elektrotechnik und Maschinenbau leicht sinkt, gehört die Branche noch immer zu den Spitzenreitern. Sehr gut schneidet die Branche in Sachen Forschungsaktivitäten ab und erzielt besonders bei den Prozessen Gewinne. Verschlechterungen gibt es bei der Qualifizierung sowie bei den Produkten.
Sonstiges Verarbeitendes und Produzierendes Gewerbe
Unterdurchschnittlich in Sachen Digitalisierung sind sowohl das Sonstiges Verarbeitende Gewerbe als auch das Sonstige Produzierende Gewerbe: Beide haben sich in Sachen Digitalisierung zwar leicht verbessert, haben insgesamt jedoch Aufholbedarf in allen Belangen.
IKT
Die IKT-Branche ist trotz eines leichten Rückgangs beim Digitalisierungsindex immer noch deutlicher Spitzenreiter unter den Branchen. Entwicklungspotenzial identifiziert der Report beim Thema Forschung und Innovation. Die IKT-Branche könnte von der starken Innovationslandschaft profitieren und diese in unternehmensinterne Innovationsaktivität umsetzen – was bislang kaum geschieht. Ihren Spitzenplatz hält die IKT bereits seit Jahren.
Handel
Der Handel ist in Sachen Digitalisierung nahezu unverändert. Durch den Bedeutungsgewinn des E-Commerce ist jedoch in der nahen Zukunft weiterer Fortschritt in puncto Digitalisierung zu erwarten. Am besten schneidet der Handel in der Kategorie Prozesse ab und erzielt dort ein überdurchschnittliches Ergebnis. Schlecht steht es um die Forschungs- und Innovationsaktivitäten.
Verkehr & Logistik
Der Bereich Verkehr und Logistik macht im Vergleich zu 2020 einen Rückschritt beim Digitalisierungsindex. Zuwächse verzeichnet die Branche lediglich bei den digitalen Prozessen. Verkehr und Logistik waren durch die Corona-Pandemie infolge von Grenzschließungen und eingeschränkter Mobilität besonders betroffen – das macht sich auch bei der Digitalisierung bemerkbar.
Tourismus, Hotel- und Gastgewerbe
Tourismus, Hotel- und Gastgewerbe haben tatsächlich den viel zitierten Digitalisierungsschub durch Corona erhalten. Die Branche verzeichnet einen deutlichen Zuwachs von insgesamt 20 Punkte. Am stärksten digitalisierte der Tourismus seine Prozesse, aber auch bei Produkten und Geschäftsmodellen steigt der Digitalisierungsindex. Ein Grund könnte sein, dass im Lockdown, der die Branche besonders hart und lange traf, Produkte vermehrt online angeboten und verkauft wurden.
Unternehmensnahe Dienstleister
Die Unternehmensnahen Dienstleister sind als einzige Branche neben der ITK überdurchschnittlich in Sachen Digitalisierung. Am besten schneiden sie in der Kategorie Produkte ab, erzielen aber auch bei Innovationslandschaft und Prozessen Verbesserungen. Die starke Stellung der Unternehmensnahen Dienstleister kann als Indikator für die verstärkte Nachfrage von Unternehmen aller Branchen nach digitalen Produkten gewertet werden.
Digitalisierungsschub: Ja oder nein?
Die Aussage, dass Corona die deutsche Wirtschaft digitaler gemacht habe, kann der Bericht nicht verifizieren. Vielmehr ist das Fazit uneindeutig. Während für manche Branchen die Bewältigung der Ausnahmesituation Corona durch die Digitalisierung erleichtert wurde – Beispiel Tourismus, Hotel- und Gastgewerbe – mussten andere ihre Digitalisierungsvorhaben erst einmal auf Eis legen. Herausforderungen wie branchenübergreifender Kostendruck, Unsicherheiten und Nachfragerückgänge setzten viele Unternehmen anderweitig unter Druck, so dass weniger Ressourcen für Zukunftsprojekte wie die Digitalisierung blieben. Fakt ist: Auch ohne Corona entwickelt sich die Digitalisierung in allen Branchen weiter – und das ist auch notwendig. Denn nach wie vor nimmt Deutschland im Vergleich mit den OECD-Staaten allenfalls eine Position im Mittelfeld ein.
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