Digitalisierung im Maschinenbau mit Hilfe von digitalen Zwillingen erfolgreich gestalten

Patrick Müller

Patrick Müller

27. Oktober 2017

Jedes Jahr werden zu den großen Computer- und Industriemessen wieder neue Schlagworte kreiert. Die Systemanbieter versuchen fleißig, neue oder sogar bestehende IT-Systeme so zu verkaufen, als sei ihr (bestehendes) Angebot DIE Lösung schlechthin. Auf diese Weise hoffen sie, dem jeweils neuesten Hype gerecht zu werden. In den letzten Jahren war es vor allem das Thema Industrie 4.0, das die Fantasie beflügelt hat. Dieses Jahr war der sogenannte Digitale Zwilling ganz vorne mit dabei. Welche Problemstellung sich hinsichtlich des Digital Twin ergibt und wie Sie diese in Ihrem Unternehmen auflösen können, erfahren Sie im Folgenden.

Wohin sich der digitale Zwilling hin entwickelt

Das Thema Digital Twin wurde auf den diesjährigen Messen konkret greifbar. Dabei stehen primär zwei Ziele an erster Stelle: Einerseits geht es um die Möglichkeit zur vollautomatisierten Produktion, die Effizienz sowie Individualisierung und Qualität der Varianten und gezielt stützt und fördert. Andererseits soll das volle Potenzial ausgeschöpft werden, indem auch andere Aspekte der Technologie vom Konzept des Digital Twin lernen.

Der digitale Zwilling als virtuelles Abbildung eines echten Produktes: Diese Thematik weckte stets meine Neugier, denn ganz neu war mir das Thema nicht. Bereits vor gut einem Jahrzehnt hatte ich einen Automobilhersteller dabei unterstützt, eine möglichst große Anzahl an Varianten computergestützt geometrisch absichern zu können. In die Wand fahren (das heißt, in Crash Tests auf die Probe stellen) ließen sich diese digitalen Zwillinge auch zu der Zeit schon.

Nachdem ich dieses Jahr weder die Cebit noch die Hannover Messe besuchte, begann ich nach den Messen mit Recherchen zu dem, was die Hersteller jeweils präsentiert hatten. Schnell wurde mir klar, dass das Verständnis des digitalen Zwillings meist relativ unterschiedlich war. Die einen wollten den digitalen Zwilling vor allem in der Entwicklung nutzen, andere während des Produktionsprozesses, wieder andere hatten den Fokus auf den Betrieb und auftretende Störfälle gelegt.

Gesamtheitlicher Ansatz bringt Herausforderungen mit sich

In einem Beitrag zur Hannover Messe schrieb beispielsweise Siemens Folgendes:

Die Digital Enterprise Suite bietet der Fertigungsindustrie durchgängige Soft- und Hardwarelösungen, mit denen die gesamte Wertschöpfungskette nahtlos integriert und digitalisiert werden kann, einschließlich der Zulieferer. Das Ergebnis ist ein digitaler Zwilling, der Produkt, Prozess und Fertigung auf Basis eines Datenmodells abbildet.

Das klang nach einem enorm umfangreichen Ansatz: Fertigungsunternehmen sollten alle ihre produktbezogenen Daten, also Stammdaten und Daten aus Produktion et cetera, in einer einzigen Software-Suite eines Herstellers abbilden. Die doch sehr weitreichenden Konsequenzen dieses Ansatzes geben Grund zu Bedenken, ob dies ohne Weiteres zu bewerkstelligen sein kann.

In dem Projekt mit jenem Automobilhersteller hatte ich allerdings gelernt, dass ohne Gültigkeit und Variantenkonfigurationsinformationen bei einem Variantenfertiger im Bereich virtuelle Untersuchungen überhaupt nichts geht. Sollen also alle diese Daten in ein PLM-System? Sinnvoll wäre das sicherlich, doch die meisten Unternehmen haben es in 20 Jahren PDM/PLM (Produktdatenmanagement/Product Lifecycle Management) noch nicht einmal geschafft, durchgängige Lösungen für das eigene Stammdatenmanagement zu implementieren. Dort, wo Insellösungen ein lokales Optimum ermöglichen, haben die meisten Unternehmen Use-Cases aus zentralen Systemen herausgelöst und in die Insellösungen verlagert. Das wiederum führte zum Ergebnis, dass der jeweilig dominierende Use-Case zwar optimal unterstützt wird, die Daten aber eben nicht zentral für weitere Use-Cases zur Verfügung stehen.

Die weiten Wege der Daten – und wo sie sich kreuzen

Im Anschluss an meine Recherchen unterhielt mich lange mit einem anderen erfahrenen PLM-Berater, den ich schon aus meiner Zeit beim Fraunhofer IAO in den 90er Jahren kannte und der sich bereits seit längerem mit Industrie 4.0 beschäftigt. Bei diesem intensiven Brainstorming kamen wir zu dem Schluss, dass der digitale Zwilling nur die Gesamtheit aller produktbezogenen Daten sein kann, die in einem Unternehmen und gegebenenfalls mithilfe der zuliefernden Unternehmen entstehen. Über diesen Prozess muss allerdings klargestellt werden, dass mehrere Phasen und auch Speicherorte durchlaufen werden:

Daten befinden sich in der frühen Phase in einem oder womöglich sogar in unterschiedlichen PDM- oder Verwaltungssystemen. Ein Teil der Daten verbleibt in den Autorensystemen. Später werden die Daten dann in ein ERP-System übergeben und dort angereichert. Bei der Produktion wird wiederum die sogenannte Installed Base erzeugt. In diesem Kontext ist das die As-Built-Dokumentation des produzierten Produktes. Diese Daten werden im Anschluss häufig nochmals in einem anderen System abgelegt. Das heißt, dass diese Daten nicht in einem einzelnen System zu finden sind, sondern auf viele Systeme verteilt werden.

Aber kann dies die Lösung sein? Wie lassen die Daten sich dennoch in ihrer Gesamtheit nutzen? Der Lösungsweg ist denkbar einfach: Wenn all diese Systeme die gleichen Produktstrukturen und IDs verwenden, so ist auch ein Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen möglich. Daten, die in der Produktion oder im Service entstehen, lassen sich auf diesem Wege über die gemeinsame Struktur mit den Stammdaten verbinden. So entsteht systemübergreifend ein Datengerüst, das in seiner Gesamtheit nutzbar wird- und das als digitaler Zwilling bezeichnet werden kann.

Beispiel Maschinenbau: Digital Twin im Einsatz

Mit diesem digitalen Zwilling können dann vielfältige Szenarien durchgeführt werden. Der Maschinen- und Anlagenbauer kann mit einem digitalen Zwilling beispielsweise:

  • statische und dynamische Kollisionsuntersuchungen durchführen, um
    • diese vor dem echten Bau absichern zu können
    • die Integration in eine bestehende Fabrik oder Anlage abzusichern
    • Entwicklungszeit zu sparen.
  • funktionale Simulationen durchführen, um
    • diese vor dem echten Bau absichern zu können
    • die Integration in eine bestehende Fabrik oder Anlage abzusichern
    • Entwicklungszeit zu sparen.
  • die elektronische Funktionsfähigkeit absichern, um Fehler bei der Inbetriebnahme zu vermeiden.
  • Sensordaten der Anlage in den digitalen Zwilling übertragen, um
  • Maschinen und Anlagen visuell darstellen (statisch, dynamisch), um
    • sie für Marketingzwecke zu nutzen
    • sie im Vertriebsablauf einzusetzen
    • sie für Trainingszwecke zu verwenden.

Dazu bedarf es vielfältiger Simulatoren und anderer Tools, die diese unterschiedlichen Untersuchungen durchführen können. Realistisch betrachtet werden diese Tools von ganz unterschiedlichen Anbietern stammen. Jeder dieser Anbieter wiederum wird sich entsprechende Schnittstellen zu den verschiedenen Quell- und Verwaltungssystemen schaffen um an die benötigten Daten zu kommen.

Fazit: Einheitlicher Umgang mit Daten macht vieles möglich

Der digitale Zwilling ist ein Ansatz, der verschiedenste Simulationen und Absicherungen eines Produktes im Computer durchführbar macht. Zwar erscheinen Wünsche nach einem zentralen Verwaltungssystem für alle digitalen Daten eines Produktes zum jetzigen Zeitpunkt (noch) unrealistisch. Durch einheitliche IDs und Strukturen sind aber dennoch vielfältige Szenarien bereits heute technisch möglich.

(Coverbild: © zapp2photo | fotolia.com)

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