Megatrend Individualisierung: Auswirkungen auf Produkte im B2C und B2B

Bild von Patrick Müller

Patrick Müller

21. Juni 2017

Unabhängig von Technik und Technologie entwickeln sich individuelle Bedürfnisse und gesellschaftliche Strömungen. So hat beispielsweise in den letzten Jahrzehnten die Mobilität dramatisch zugenommen. Wir sprechen bei derartigen Veränderungen von Megatrends. Ein Kriterium, das solche Megatrends auszeichnet, ist, dass man sie nicht „voraussagen“ muss: Sie sind schon da und markieren Veränderungen, die uns schon lange prägen und noch lange prägen werden. Zudem umfassen sie mehrere Jahrzehnte, haben Einfluss auf alle Menschen und auf alle Ebenen der Gesellschaft. Des Weiteren sind sie unabhängig von Technologien und Techniktrends.

Bestandteile des Megatrends Individualisierung

Der Einzelne kann und muss immer mehr Lebensentscheidungen autonom treffen und beispielsweise in Bezug auf Partnerschaft, Beruf, Bildung und Wohnort eigenständig handeln. Menschen suchen einen individuellen Stil, gehen individuelle Lebenswege und haben eine individuelle digitale Identität. Sie verwenden Selftracking, kaufen Produkte, die individuell auf sie zugeschnitten sind, und nutzen individuelle Serviceangebote. Sie erstellen sogar selbstständig komplexe Produkte, beispielsweise über Komponenten aus dem Internet und 3D-Druck. Das Wissen hierzu beziehen sie über Tutorial Learning und aus dem Internet, nicht über Schule und Bücher.

Mass Customization

Im Folgenden liegt ein Hauptfokus auf Mass Customization; zu Deutsch: kundenindividuelle Massenproduktion. Zielabsatzmarkt ist nicht der differenzierte, sondern der Massenmarkt. Hier soll durch Variation aus wenigen – aus Kundensicht jedoch entscheidenden – Merkmalen des Produkts eine weitere Stufe der Individualisierung erreicht werden.

Vor Beginn der industriellen Massenproduktion waren viele Produkte ohne zusätzliche Prozesskosten individualisierbar. Danach gab es längere Zeit nur Produkte von der Stange oder sehr teure Sonderanfertigungen.

Mit den Möglichkeiten von moderner Industriesoftware bewerkstelligen es Unternehmen, immer mehr Varianten und Optionen zu in ihrem Produktspektrum zu berücksichtigen. Heute werden viele Produkte als variantenreiches Serienprodukt angeboten, bei dem der Kunde aus einer Vielzahl von Optionen auswählen kann.

Zu den anschaulichsten Beispielen zählen Autos, Fahrräder oder auch Computer. Der Kunde nutzt Internet-Konfiguratoren, in denen er das präferierte Modell auswählen und mit Ausstattungen versehen kann. Meist nutzt er dazu einen integrierten graphischen Konfigurator, der jede gewünschte Veränderung des Produktes graphisch visualisiert.

Zahlreiche Fahrzeuge aufgereiht auf einem Parkplatz oder Fuhrpark im Autohandel
Individualisierung im Automobilbereich: Die Konfiguration eines Fahrzeuges nach den Wünschen des Kunden eröffnet zahlreiche Möglichkeiten. (Bild: © scharfsinn86 | Adobe Stock)

Individualisierung und Variantenreichtum im B2B

Dieser Variantenreichtum – und die Individualisierung erst recht – machen auch am Wareneingang eines Produkteherstellers nicht Halt. Einen Autositz, den der Kunde für seinen PKW konfigurieren kann, kann man aufgrund der Variantenvielfalt nicht mehr über vordefinierte Varianten und deren Sachnummern bestellen. Denn auch Automobil-Zulieferer, die eine geringere Abhängigkeit von Sonderausstattungen haben und noch größere Stückzahlen eines Produktes herstellen, bekommen die Variantenvielfalt der Hersteller zu spüren. So muss beispielsweise ein Hersteller von Turboladern wir BorgWarner durch die zahlreichen Modellvarianten mit unterschiedlicher Motorisierungen seine Produkte in viel mehr Varianten herstellen als noch vor 15 Jahren.

Individualisierte Systeme

Wenn man nun vom komplexen Produkt auf die ganz einfachen Produkte schaut, möchte man meinen, dass hier die Grenzen der Individualisierung erreicht sind, denn eine Schraube lässt sich nicht individualisieren. Allerdings gibt es Anbieter wie Würth, die ihrem Kunden individualisierte Systeme bereitstellen, die diese Schrauben selbständig nachbestellen. Diese Leistung ist nicht der Produktverkauf, sondern die zuverlässige, auf den Kunden zugeschnittene Bereitstellung der benötigten Produkte, ohne dass der Kunde einen nennenswerten Aufwand damit hat.

Andere Systeme nutzen IoT Features, um individualisierte Leistungen zu erbringen. Funk-Akkuschrauber von Rexroth wissen über eine Verbindung mit einem Zentralrechner und Lageinformation, mit welchem Drehmoment eine Schraube angezogen werden muss und dokumentieren diese auch. Auch die großen Landgeräte-Hersteller wie Agco, John Deere und Class sind dabei, mit Hilfe von IoT und Big Data neue Leistungen und völlig neue Geschäftsmodelle zu kreieren. Aus der Verbindung von Wetterdaten, Drohnenaufnahmen und GPS-Daten sollen die Fahrwege der Traktoren minimiert und Düngereinsatz optimiert werden.

Smart Farming App auf Smartphone, im Hintergrund eine Plantagenfläche
Lösungen rund um Smart Farming 4.0 helfen dabei, Optimierungspotenziale zu heben. (Bild: © Andrey Popov | Adobe Stock)

Erfüllung individueller Wünsche

Die ersten echten Individualisierungen gab es bei vielen Produkten zunächst im Bereich der Farbe. So lässt sich ein Rolls-Royce ebenso wie ein Traktor in einer individuellen Farbe bestellen. Bei Rolls-Royce hat man sogar schon Diamantenstaub in den Lack hinzugefügt. Das mag uns noch etwas exzentrisch vorkommen, es gibt aber auch Beispiele, die für jeden einzelnen sinnvoll ist.

Einen wirklichen Kundennutzen hat die Individualisierung beispielsweise bei der Geometrie, die an seinen Körper angepasst wird. Manche Unternehmen betreiben diese Individualisierung erst vor Ort im Geschäft, zum Beispiel bei einem Skistiefel. Hier muss das vorrätige Produkt so beschaffen sein, dass es später noch individualisiert werden kann. Bei einem Fahrrad hingegen, dessen Rahmen mittels 3D-Druck produziert wird, beginnt die Individualisierung beim Vermessen des Kunden bereits vor der Produktion und erfordert völlig neue Produktionsverfahren.

Individualisierung: Chance oder Risiko?

Fasst man diese Beobachtungen zusammen, stellt sich die zentrale Frage: Ist der Megatrend Individualisierung nun ein Risiko, eine Herausforderung oder eine Chance?

Auf die meisten Unternehmen trifft dies alles zu. Individualisierung ermöglicht neue Geschäftspotentiale durch neue Geschäftsmodelle oder Erweiterung bestehender Modelle. Gleichzeitig stellt er wiederum eine Bedrohung für die Unternehmen dar, die sich dem Trend nicht oder nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit anpassen können.

Wir unterstützen Kunden dabei, die für sie relevanten Megatrends zu identifizieren und unternehmensspezifische Trend-Maps zu erstellen.

Im zweiten Teil des Beitrages werden wir auf die Fähigkeiten eingehen, welche im Engineering benötigt werden um die Herausforderungen der Individualisierung und speziell des Mass Customization zu bewältigen.

(Coverbild: © Egor | Adobe Stock)

Über den Autor

Bild von Patrick Müller

Patrick Müller

Teile diesen Artikel auf Social Media

Weitere Blogartikel

Mehr aus unserem Blog

Harrlachweg 2

68163 Mannheim
Deutschland

KONTAKT

Sie haben eine Anfrage? Gerne!

© 2024 TCI • Alle Rechte vorbehalten.