Ich war noch niemals in New Work – Was ist eigentlich New Work?

Dieter Wichland

Dieter Wichland

12. Oktober 2018

Der Begründer des „New Work“-Begriffs ist erzürnt. Vor kurzem erst äußerte sich der in der New Work-Szene schon legendäre Philosoph Frithjof Bergmann, Begründer des Terminus „New Work“ kritisch über die Auswüchse, die bei der aktuellen Diskussion mit dem Begriff einhergehen. Er sehe, dass die Ursprungsidee zwar nicht völlig entstellt wurde. Das, was er eigentlich zu erreichen versuchte, ist allerdings längst zu verschwommen. Dieser erste Beitrag zum Thema New Work bietet eine kurze Hinführung zum Konzept und erklärt anhand von greifbaren Beispielen, worum es tatsächlich geht.

Die verflixte Angst vor der Digitalisierung

Der Begriff kommt tatsächlich ursprünglich aus dem Thema, welches die Ängste rund um die Digitalisierung schürt: Der Verlust von Arbeitsplätzen, welche dann durch Computer und Technologie allgemein ersetzt werden. Bereits in den 70er Jahren war dies ein Thema bei General Motors. Bergmann versuchte damals als Verhandlungsführer gegenüber dem Management, den drohenden Massenentlassungen vorzubeugen. Er machte den Vorschlag, Mitarbeiter neben ihrer eigentlichen Arbeit (welche durch die Digitalisierung stark verkürzt wurde) dabei zu unterstützen, ihre wahre Berufung zu finden. Diese Unterstützung war das, was für Bergmann das Thema New Work im eigentlichen Sinne ausmachte: Eine soziale Komponente, ein Ver-„Halten“ der Firma, die zu einer „Haltung“ gegenüber den Mitarbeitern führt. Welche wiederum eine Haltung der Mitarbeiter gegenüber der Firma nach sich zieht.

„New Work“ liegt geographisch im VUCA-Land

Neuerdings mischt sich der Begriff immer mehr mit anderen hippen Ideen aus der Wirtschaftswelt wie „Lean XY“, „Agilität“, Holocracy®, „Arbeiten 4.0“ und Start-up-Kultur. Meine Kollegen von Musterbrecher sagen hierzu gerne „Plastikwörter“, unter denen alles oder nichts verstanden wird. Letztendlich ist New Work lediglich ein Klammerbegriff, ein Containerwort, ein Etikett oder Label, ein sprachliches Konstrukt, welches die Gesellschaft nutzt, um die Veränderungen in der Arbeitswelt zu etikettieren.

Gemeint ist hier jedoch meist eine Art Gegenbewegung zur Knechtschaft der Lohnarbeit, zum kalten kapitalistischen Taylorismus, in der eine Firma eine gut funktionierende Maschinerie sein musste – mit Menschen als austauschbaren Zahnrädern. Taylor bemängelte damals, dass Arbeiter überhaupt mit einem Gehirn ausgestattet seien, ihm hätten vielmehr einfach nur zusätzliche Hände genügt. Heute erfahren wir jeden Tag aufs Neue, wie unsere Welt durch die Digitalisierung volatiler, unsicherer vorhersagbar, komplexer und mehrdeutiger wird; kurz VUCA (volatile, uncertain, complex, ambigue). Und für Probleme in so einem VUCA-Umfeld braucht es Lösungsarchitekturen, die damit umzugehen vermögen.

Ein Beispiel für New Work außerhalb der Arbeit

Lars Vollmer, von dem auch der Titel dieses Blog-Beitrags stammt, beschreibt in seinem Buch „Wie Menschen sich organisieren wenn keiner Ihnen sagt, was sie tun sollen“ folgendes Beispiel für ein VUCA-Problem:

Es ist der 11. April 2017, Fußball-Champions League-Viertelfinale in Dortmund. Der BVB empfängt den Gast AS Monaco, das Stadion ist ausverkauft. Um 19:15 knallt es plötzlich: direkt neben dem Mannschaftsbus des BVB explodieren drei Sprengsätze, gefüllt mit Metallstiften, die als Geschosse durch die Luft fliegen. Zum Glück aller waren die Sprengsätze so angebracht, dass der Großteil der Metallstifte über die Polizeieskorte und über den Bus hinwegschossen, nur einer durchbohrte die Seitenscheibe und traf den Abwehrspieler Marc Bartra in den Unterarm.
Die Nachricht von dem Anschlag verbreitete sich sofort im Netz, die gesamte Stadt wurde gesperrt, der Verkehr eingestellt. Viele Menschen hielten sich in dieser unsicheren Situation über Facebook und Twitter auf dem Laufenden. Irgendwann wird klar, dass nicht nur das Spiel abgesagt wird, sondern auch die Monaco-Fans an diesem Abend nicht mehr aus Dortmund wegkommen würden. Die Fans waren gestrandet.

Auf Facebook und Twitter werden viele Kurznachrichten mit sogenannten „Hashtags“ versehen, also kurze Codes, die mit vorangestelltem #-Zeichen gekennzeichnet werden. Nach diesen Hashtags kann das jeweilige Netzwerk durchsucht werden, so bildet sich meist eine Art dynamischer Index.

Als die ersten Dortmunder auf die Idee kamen, den gestrandeten Monaco-Fans zu helfen und ihnen privat eine Bleibe anzubieten, wurden darüber Posts in Facebook und Twitter versendet und dafür zunächst eine Menge unterschiedlicher Hashtags verwendet. Doch die Idee fand begeisterte Nachahmer. Immer mehr Fotos von beherbergten Monaco-Fans in heimischen BVB-Wohnungen bei Pizza und Bier machten die Runde. Nach und nach bildete sich auch ein Konsens über den zu verwendenden Hashtag heraus: #bedforawayfans. Und langsam kam richtig Dynamik rein: Fans helfen Fans und keiner wird allein in der Nacht gelassen. Diese Sorte Kommunikation war anschlussfähig; etwas, das man gerne teilt. Dabei mitzumachen bot eine hoch emotionale Identifikationsmöglichkeit:

  • Dazugehören wollen!
  • Fankultur leben!
  • Helfen!
  • Gemeinsam gegen den Terror!

Es bildete sich eine richtige Kontaktbörse: wer braucht noch ein Bett, wer hat noch eines?

Dieses Beispiel zeigt, wie ein VUCA-Problem eine VUCA-Lösungsarchitektur benötigt. Und es zeigt die enorme Leistungsfähigkeit, wenn die Umstände entsprechend sind. In unserem Beispiel gab es eine klar definierte Gruppe, ein klar definiertes Problem und Zugang zu einem Informations- und Kommunikationsmedium in Echtzeit. Was es nicht gab: eine zentrale Instanz, die alles lenkt, steuert und überwacht. Die Lösung entstand durch eine nicht vorhersehbare Eigenlogik. Man stelle sich vor, eine zentrale Einheit hätte alle Unterkünfte für die Monaco-Fans zentralisiert verwalten müssen, zum Beispiel mit den klassischen Instrumenten des Projektmanagements… . Alleine bis alle Informationen zentral gesammelt vorgelegen hätten, wären Tage vergangen.

Erstaunlich ist hier, wie hoch informiert die einzelnen Akteure waren. Und das mussten sie sein, denn sie mussten ja laufend Entscheidungen treffen. In Summe wurde so das komplexe Problem auch passgenau gelöst! Und das System, das dabei spontan entstand, war dem Problem ebenbürtig: hoch komplex, verflixt schnell, dynamisch und unglaublich leistungsfähig. Es gab keinerlei zentrale Transparenz, wer wie wo was organisierte, aber es gab perfekte lokale Transparenz. Alle Informationen waren überall verfügbar, wer wollte, hatte Zugang. Es gab keine Zensur, sondern Offenheit.

Der Übertrag ins eigene Unternehmen

Lassen Sie uns (nur einen kurzen) Übertrag in unser tägliches Arbeitsleben machen: Auch dort haben wir es immer mehr mit VUCA-Problemen zu tun. Allerdings versuchen wir hier meist immer noch, diese Probleme mit herkömmlichen Methoden aus einer zentralisierten Basis heraus lösen zu wollen:

Wir haben Informations-Silos, die meist auch stark mit der Management-Struktur verknüpft sind (Wissen ist ein Machtinstrument; ein Manager weiß mehr als sein Team, damit er bessere Entscheidungen treffen kann). Wir arbeiten oftmals stark daran, die Bürokratie zu befriedigen und das Theaterspiel im Unternehmen aufrecht zu erhalten (wöchentliche Reports, strikte Regeln) anstatt Experimente zu wagen (vielleicht in einem geschützten Raum, ohne Regeln) um komplexe Probleme passgenau zu lösen.

Wir versuchen, die Zukunft vorauszusagen und dann Budgets darauf zu planen; nur um direkt im Anschluss diese Budgets verschleudern zu müssen, weil ich ansonsten ja schlecht geplant habe und im nächsten Jahr weniger bekommen könnte. Budgets sind Business-Theater und eine selbsterfüllende Prophezeiung aufgrund der Regeln des Systems.

Aber was ist denn jetzt New Work?

New Work wird zukünftig die Antwort auf die Frage sein, wie sich komplexe Probleme passgenau lösen lassen, was mit nicht-komplexen (also komplizierten) Problemen geschieht, und die Unterscheidung beider. Dabei müssen wir auch die Art der Wertschöpfung unterscheiden: Handelt es sich um „Standard-Arbeit“ (das heißt, „Wertschöpfung der Norm“ und damit kompliziert), sind möglicherweise New Work-Ansätze nicht immer von Vorteil. Handelt es sich hingegen um kontingent-komplexe Probleme („Wertschöpfung der Ausnahme“, zum Beispiel Projekte), dann kann New Work eine Lösung sein. Einige Firmen aus unterschiedlichsten Branchen haben dies zumindest schon unter Beweis gestellt.

Mehr dazu finden Sie in meinem nächsten Blog-Beitrag.

(Coverbild: © IM Grafik | fotolia.com)

Über den Autor

Dieter Wichland

Dieter Wichland

Dieter Wichland ist TCI Partner und Experte für alle New Work-Themen, kollegiale Führung, Soziokratie, Holocracy® und happy working places. Der IT- und Unternehmensberater arbeitet meist an der Schnittstelle von IT und Business und entwickelt derzeit den Arbeitsplatz der Zukunft.

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