Motivation, Eigenverantwortung, gegenseitiger Respekt – all das sind agile Werte, die das Arbeiten in agilen Projekten beflügeln und angenehmer machen. In der Praxis müssen agile Werte sowohl beim Management als auch bei den Mitarbeitenden ankommen und gelebt werden. Iris Maier, Autorin des Beitrags „Die Prinzipien von agil und lean leben – Aus der Praxis für die Praxis“ im Sammelband „Agilität in Unternehmen“, zeigt im Interview, wie Teams durch agile Werte erfolgreich werden und wie die Fokussierung gelingt.
Agile Werte machen gute Laune
Katja Heumader: Sie schreiben, ein agiles Team zeichne sich unter anderem durch „gute Laune“ aus – woher kommt die?
Iris Maier: Zum einen kommt „die gute Laune“ aus der persönlichen intrinsischen Motivation heraus: Man fühlt sich wohl im Team, da alle das gleiche Fundament haben. Zudem sorgt offene Kommunikation in kürzesten Zeitabständen dafür, dass Missverständnisse schnell aus der Welt geschaffen werden können. Entweder bilateral im direkten Gespräch oder mit Unterstützung des Scrum Masters.
Die Arbeitsplatzgestaltung trägt ebenfalls dazu bei: ergonomische höhenverstellbare Schreibtische, ergonomische Sitzgelegenheiten, gutes Equipment, verschiedene Aufenthaltszonen… Wasser zum Trinken für alle, (hoffentlich) ein Kaffee-Automat und ein Getränkeautomat.
Und eine regelmäßige Taktung und Rhythmus der Zusammenarbeit sowohl innerhalb des Teams als auch mit anderen Teams und Stakeholdern. Wichtig sind die sich regelmäßig wiederholenden agilen Zeremonien und Praktiken. Auf Teamebene sind das Review, Retro, Sprintplanning, Backlog-Refinement und Review.
Ein Gemeinschaftsgefühl im Team generiert ebenfalls ein „Wohlfühl-Gefühl“. Die gemeinsame Professionalität und das Gefühl, einen Beitrag zur hohen Qualität im Backlog zu leisten, motivieren. Dazu tragen insbesondere klare Aufgabenbeschreibungen bei, die Klärung offener Fragen im Vorfeld, die enge Zusammenarbeit mit den Kunden und demzufolge Feedback in kurzen Abständen. Wenn die Arbeit professionell geplant ist, können alle kontinuierlich durcharbeiten und kommen in einen Flow. Dann ist auch Zeit, zwischendurch einfach mal zu lachen.
KH: Worauf müssen Organisationen achten, wenn sie beabsichtigen, agile Methoden einzuführen?
IM: Wichtig ist es ein gemeinsames Fundament zu setzen, das Mut macht, das zur Fokussierung auf die gemeinsamen Ziele beiträgt und für einen respektvollen Umgang miteinander sorgt. Daran gilt es dann, kontinuierlich zu arbeiten. So lässt sich auch sukzessive die Firmenkultur verändern. Dafür ist es besonders wichtig, dass auch das Management sich zum einen zu diesem Fundament bekennt und zum anderen ebenfalls agil arbeitet. Agilisierung darf sich nicht auf das operative Umfeld beschränken.
Die gemeinsame Sprache ist ein zentraler Baustein in diesem Gefüge. Unter „Retrospektive“, Program Increment Planning“ und so weiter müssen alle das Gleiche verstehen. Verantwortlichkeiten und Rollen wie Entwickler, Scrum Master, Product Owner, Stakeholder und so weiter müssen klar definiert sein.
Framworks wie SAFe® helfen bei der Agilisierung
KH: Gibt es ein Patentrezept für eine erfolgreiche „Agilisierung“ von Unternehmen?
IM: Nein und Ja. Nein – da es keine Blaupause, die jede Firma anwenden könnte, gibt. Jede Firma ist einzigartig was die Historie, die Firmenkultur, die einzelnen Mitarbeitenden und das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung anbelangt.
Ja – es gibt Frameworks, wie zum Beispiel SAFe® oder LeSS, die jedes Unternehmen als Basis nutzen kann. Mithilfe dieser Frameworks lässt sich die Sprache lernen, man kann üben, Anforderungen zu schreiben, Rollen klar definieren und ebenfalls ein Verständnis dafür schaffen, die agilen Praktiken des gewählten Frameworks circa ein halbes Jahr erst einmal „durchzuziehen“ bis sie sich eingespielt haben. Erst danach sollte man generell mit dem Optimieren oder gar mit Veränderungen im Firmenkontext beginnen. Die Lernschlaufen in Richtung Teammitglieder und die Lernschlaufen in Richtung Prozesse, Rollenwahrnehmung und Backlogqualität in kurzen Abständen von etwa zwei bis vier Wochen gilt es in der Retrospektive zu erarbeiten und dann auch in der nächsten Iteration davon umzusetzen – gerade hier hakt es oft.
KH: Sie schreiben, dass agile Werte eine zentrale Rolle spielen. Welche Werte sind das genau und wie lassen sich agile Werte in einem Unternehmen ändern beziehungsweise verwirklichen?
IM: Agile Werte sind vor allem Selbstverpflichtung, Offenheit, Mut, Fokus, Respekt. Die Selbstverpflichtung, also die Übernahme von Verantwortung, ist im agilen Setting bereits im Push und Pull Ansatz verankert. Jeder Mitarbeiter nimmt sich seine weiteren Stories und Aufgaben und bekommt sie nicht „zugeteilt“ oder gar befohlen. Mut und Fokus üben wir täglich durch das Abarbeiten unserer Tasks. Das Daily oder das stattfindende Refinement gibt der Woche eine immer wiederkehrende Struktur. Respekt und Offenheit üben wir im täglichen Umgang miteinander. Und wenn es mal hakt, können wir in der Retrospektive, die alle zwei bis vier Wochen stattfindet, Themen auf den Tisch legen, die das Team bremsen.
KH: Agiles Projektmanagement beinhaltet Iterationen, Feedback Loops, so genannte „Dailies“, Teams sind crossfunktional und interdisziplinär. Das klingt nach hohem Abstimmungsbedarf. Kann ein solches Vorgehen überhaupt effektiv sein?
IM: Ja, auf jeden Fall. In klassischen Projekten oder Aufträgen liegt die Abstimmung gehäuft am Anfang eines Projektes, dann wird abgearbeitet. Im agilen Setting haben wir eine kontinuierliche Erarbeitung des Backlogs, wo wir Anforderungen mit deren Ausarbeitung sammeln, eine Repriorisierung in regelmäßigen Abständen (häufig alle 10-12 Wochen), die Integration von Änderungen durch die Stakeholder sowie die Integration von neuen Erkenntnissen, die den Scope verändern können. Und da liegt der Knackpunkt: Das agile Vorgehen ist dann am sinnvollsten, wenn wir in kürzeren Abständen liefern sollen (zum Beispiel bei Mobilfunkanwendungen), wenn wir Anforderungen haben, die sich in kürzester Zeit ändern können und neu in die Anforderungen einfließen müssen und wenn wir Themen haben (wie autonomes Fahren), wo am Anfang noch nicht klar ist, wohin die Gesamtreise gehen soll. Denn beim agilen Vorgehen werden auf dem Weg der Entwicklung noch neue Erkenntnisse gesammelt, die sofort integriert werden müssen.
Das Interview mit Iris Maier führte Dr. Katja Heumader für die TCI-Redaktion.
„Agilität in Unternehmen“: theoretisch fundiert und praxisnah

Im Fokus von „Agilität in Unternehmen“ steht die praktische Anwendung der Konzepte. Die Beiträger:innen des Sammelbandes decken dabei – neben der Einführung in die theoretischen Grundlagen – verschiedene Bereiche ab: Unternehmens- und Personalführung, Organisationsmanagement, Evaluation und Controlling, Entscheidungsverhalten, Rollen in Projekten sowie das Management von Geschäftsprozessen.
„Agilität in Unternehmen“ richtet sich an unternehmensinterne und -externe Praktiker:innen, für die Transformationsmanagement im Zentrum ihrer Aufgaben steht. Coaches, Business-Verantwortliche, Geschäftsführer:innen und andere Entscheidungsträger profitieren von den umfassenden Perspektiven des Sammelbandes ebenso wie Wissenschaftler:innen und Dozent:innen mit den Schwerpunktfächern Organisation, Agiles Management, Projektmanagement, Business Management, Change Management, Produktmanagement, Entwicklung, Prozessmanagement und Strategisches Management.
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Quelle Coverbild: © fizkes | Adobe Stock