Während in großen Unternehmen Transformationen meist nur einzelne Bereiche des Unternehmens betreffen, sind Transformationen in KMU meist auf das Unternehmen als Ganzes gerichtet. Dies bringt spezielle Herausforderungen mit sich, vor allem, was die Bereitschaft der Mitarbeiter*innen anbelangt. Zusätzliche Herausforderungen, die sich in KMU stellen, sind knappere Ressourcen. Wie sich Transformationen in KMU erfolgreich planen und durchführen lassen, weiß Uwe Fischer aus langjähriger Beraterpraxis. Im Interview schildert er seine Erkenntnisse und Erfahrungen.
Anmerkung der TCI-Redaktion: Hier geht’s direkt zu Teil 1 des Interviews – Perse-Ansatz: Größere Gestaltungsspielräume in Transformationsprojekten eröffnen – TCI GmbH
„Bei Transformationen in KMU ist Dogmatismus fehl am Platz“
Katja Heumader: Unternehmen jeder Größe und Branche sind mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert, auf die sie mit Anpassungs- und Transformationsprozessen reagieren müssen, wenn sie am Markt bestehen wollen. Wie unterscheidet sich ein Transformationsprozess in einem KMU von einem Transformationsprozess in einem großen Unternehmen?
Uwe Fischer: Während sich in Konzernen und Großunternehmen Transformationen meist auf einzelne Geschäftsbereiche, Disziplinen, Standorte oder Geschäftsmodelle konzentrieren, betreffen Transformationen in KMU oftmals das gesamte Unternehmen. Auch ein „Schritt-für-Schritt“-Ausrollen von z.B. neuen digitalisierten Geschäftsprozessen ist in KMU meist nicht möglich.
KMU haben keine spezialisierten Stäbe und internen Transformationsberater und sind damit auch im Tagesgeschäft unmittelbar vom Ressourcenbedarf für Transformationen betroffen.
Transformation in KMU sind daher auf pragmatische Kombination geeigneter Methoden angewiesen, die auf die Überwindung der individuellen Engpässe beim jeweiligen KMU abgestimmt werden können. Als dogmatisch empfundene Universalansätze sind bei ihnen nicht machbar.
KMU müssen sich also noch stärker als große Unternehmen auf die „richtige“ Transformation fokussieren. Vor allem müssen sie die Frage beantworten: Wozu soll etwas verändert werden? Und gleichermaßen den Transformationsprozess „richtig machen“. Das bedeutet im Wesentlichen, beim Wie und Was auf Werkzeuge und Methoden setzen, die zu Ihrer Kultur, den gelebten Mentalitäten und betroffenen Personen passen. Diese Beidhändigkeit, man kann auch sagen Effektivität und Effizienz, ist der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation in KMU. Nur dadurch können neue Denk- und Verhaltensweisen etabliert und gelebt werden.
KHE: Gibt es im Hinblick auf die Auslöser Unterschiede zwischen Transformationen in KMU und Transformationen im Allgemeinen?
UFI: Die Veränderungen des spezifischen Marktumfeldes wie auch die gesellschaftlichen und technologischen Trends allgemein treffen Unternehmen jeder Größenordnung, allerdings mit unterschiedlicher Relevanz und Wirkung. Allen gemeinsam sind aus meiner Sicht diese treibenden Faktoren:
- sich wandelnde Märkte, Konkurrenz aus Ländern und von Unternehmen, die nicht „auf dem Schirm waren“
- Disziplinen wachsen zusammen, z.B. Mechanik und Elektrik
- Vernetzung, neue Formen der Zusammenarbeit
- Innovationsdruck
- Regulierungsdruck und gesetzliche Auflagen
Digitalisierung an sich ist für mich übrigens weniger ein Trend, sondern mehr eine Reaktion auf die genannten Trends. Ich sehe Digitalisierung daher als Lösungsansatz, um Geschwindigkeit, Vernetzung und Innovation zu meistern. Und: Digitalisierung ist dazu da, den Menschen und ihren Organisationen einen Nutzen zu bringen, z.B. die Arbeit zu erleichtern, neue Produkte und Leistungen zu ermöglichen. In der Praxis scheint mir Digitalisierung allerding oft mehr Last als Lust.
Zusätzlich beobachte ich speziell bei Transformationen in KMU diese stark bedarfsgetriebenen Auslöser:
- Exploit: Sichern des bisherigen wirtschaftlichen Erfolgs mit knappen Ressourcen trotz sich wandelnder äußerer Einflüsse
- Explore: Innovation, strategische Entwicklungen parallel zum Tagesgeschäft treiben
- Neue Rollen in der Wertschöpfungskette und am Markt: heute Wettbewerber, morgen Kunde, Lieferant oder Partner
- Attraktivität für neue, aber auch vorhandene Mitarbeitende sichern: Stichworte sind hier z.B. interessante Aufgaben, Arbeitsplatzsicherheit, Perspektiven, Gestaltungmöglichkeit, Work-Life Balance, Image des Unternehmens, Außendarstellung und Präsenz in sozialen Netzwerken.
„Die Bedeutung der Unternehmenskultur wird oft unterschätzt“
KHE: Woran scheitern Transformationen in KMU besonders häufig?
UFI: Meine Erfahrung zeigt, dass die Bedeutung der Unternehmenskultur bzw. ihrer Veränderung unterschätzt wird. KMU gehen oftmals davon aus, dass sich alle als große Familie fühlen, dass alle Mitarbeitenden instinktiv und uneigennützig den Gesamtnutzen optimieren. Dann werden zwar „Change-Maßnahmen“ für Kommunikation, Beteiligung und Befähigung aufgesetzt – die Denk- und Verhaltensweisen der Mitarbeitenden ändern sich dennoch nicht nachhaltig. Der typische Fehler, den ich dabei beobachte, ist die Annahme, Kultur könne per definitionem verändert werden. Und wenn es in einem als Projekt aufgesetzten Kultur-Veränderungsprogramm nicht klappt, dann sind eben die Menschen schuld.
Meine Erfahrungen aus der Arbeit für KMU wird auch z.B. in diesem Blogbeitrag „Die 4 typischsten Denkfehler im Change Management“ bestätigt.
KHE: Gibt es eine Herangehensweise im Transformationsmanagement, die maßgeschneidert für KMU ist?
UFI: Der ETC ist eine hervorragend geeignete Grundlage, gerade für Transformationen in KMU. Allerdings stellt er mehr einen Rahmen dar, der mit konkreten Instrumenten ausgestaltet werden muss. Genau hier setzt das auf KMU ausgerichtete, maßgeschneiderte Transformationspaket an, das ich in meinem Beitrag als „perse-Ansatz“ beschrieben habe. Die wesentlichen Aspekte sind dabei:
- Den relevanten Engpass finden: „Effektivität des Handlungsfeldes“
- Pragmatisches Vorgehen wählen, das zu den Menschen in der Organisation passt
- Kluges Vorgehen zum gezielten Ressourceneinsatz, z.B. anhand der Dimensionen und Phasen des ETC
- Ressourceneinsatz durch leane Konzepte (Effizienz des Handlungsfeldes) steuern
- Transformationsprozesse flexibel und agil gestalten, um auf veränderte Rahmenbedingungen und neue Erkenntnisse reagieren zu können
Die für KMU geeigneten Instrumente zur Abdeckung dieser Aspekte sind im Buchbeitrag, auch anhand von Praxisbeispielen beschrieben. Die Kombination dieser Werkzeuge für die Dimensionen und Phasen des ETC in einem maßgeschneiderten Ansatz fasse ich dort als perse-Ansatz zusammen.
Ich möchte zu dieser Frage auch auf eine wichtige Differenzierung zwischen projektbezogenen und „unendlichen“ Zielen hinweisen: Die Entwicklung eines Unternehmens sollte von KMU als „unendliches Ziel“ verstanden werden. D.h. die KMU müssen Veränderungsfähigkeit entwickeln, diese einerseits ständig leben und andererseits jederzeit Sicherheit und Transparenz zu den Spielregeln und dem aktuellen unterstützenden Rahmen geben (Prozesse, Systeme, Governance, …). In Bezug auf Digitalisierung heißt das beispielsweise: Die Konzeption und Einführung einer technischen Lösung sollte als Projekt begriffen und aufgesetzt werden. Die Anpassung von Formen der Zusammenarbeit und die Vereinfachung für die Menschen durch technische Hilfsmittel ist eine Daueraufgabe. Dazu müssen neue Denk- und Verhaltensweisen etabliert und verankert werden; ein kontinuierlicher Prozess, der niemals ganz abgeschlossen ist. Wenn man so will, ein unendliches Ziel. Die dazu erforderliche Reflektion, das Einüben neuer Gewohnheiten, das Ausprobieren alternativer Lösungen sind sowohl für Führende als auch für Mitarbeitende eine Daueraufgabe.
KHE: Wie lässt sich, Ihrer Erfahrung nach, die beste Herangehensweise für eine Transformation ermitteln? Wie findet man individuell die geeignete Transformationsmethode für jedes Unternehmen?
UFI: Für mich hat sich in den von mir begleiteten Transformationsprojekten der engpasskonzentrierte Ansatz als sehr hilfreich herausgestellt. Ich wende ihn in zweierlei Hinsicht an. Zum einen, um den konkreten Handlungsbedarf der Unternehmen in Bezug auf das „Wozu“ zu ermitteln. Zum anderen aber auch, um die fehlenden Fähigkeiten für eine gelungene Transformation möglichst frühzeitig zu erkennen und in geeigneter Form zu entwickeln. KMU geeignete Methoden zur Engpassfindung für beide Aufgabenstellungen habe ich ebenfalls in meinem Buchbeitrag gesammelt. Als besonders wirksam haben sich in meiner beruflichen Praxis die Beobachtung und Begleitung vor Ort sowie persönliche Gespräche in vertrauensvoller Atmosphäre erwiesen.
KHE: Lieber Herr Fischer, ich danke Ihnen sehr für diese umfangreichen Ausführungen zu Transformationen in KMU.
Das Interview mit Uwe Fischer führte Dr. Katja Heumader für die TCI-Redaktion.
„Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern“ – erschienen August 2020
Die Transformation Consulting International begleitet seit vielen Jahren national und international Transformationsprojekte in Unternehmen. Basierend auf diesem umfangreichen Erfahrungsschatz zur praktischen Umsetzung ist nach dem ersten Band „Der Enterprise Transformation Cycle“ der zweite Band mit dem Titel „Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen“ im renommierten Springer-Verlag erschienen. Als Weiterführung zum ersten Band berücksichtigt dieser Wünsche und Anregungen von Lesenden und legt konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Expert*innen der TCI in ihrer täglichen Anwendung des ETC dar. Herausgeber des über 500-seitigen Bandes sind Mario A. Pfannstiel und Peter F.-J. Steinhoff. Sie finden darin zahlreiche theoretisch-konzeptionelle Beiträge sowie Fallbeispiele aus der Praxis zum „Enterprise Transformation Cycle“.
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