Krisenvorsorge: Wie Unternehmen sich besser vorbereiten können

Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Unternehmen in die Krise gestürzt; die Deutsche Bundesbank erwartet in den kommenden zwei Jahren einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen in verschiedenen Branchen. Doch auch wenn Corona uns völlig unerwartet getroffen hat: Durch gute Krisenvorsorge wäre so manche Insolvenz vermeidbar gewesen. Lesen Sie im Folgenden, wie sich ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen lässt und wie Unternehmen durch Krisenvorsorge besser durch stürmische Zeiten kommen.

Was ist eine Krise?

Eine Unternehmenskrise ist ein von dem betroffenen Unternehmen ungewollter Prozess, in dessen Verlauf die Erfolgspotentiale, das Reinvermögen und die Liquidität des Unternehmens sich so ungünstig entwickeln, dass die Existenz des Unternehmens bedroht ist.

Die Krise ist dabei in der Regel ein schleichender Prozess, deren Ursachen häufig lange Zeit im Verborgenen liegen und nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden. Die Krise entwickelt sich mit ihren Ursachen und Symptomen oftmals über Jahre hinweg, durchläuft dabei verschiedene Krisenstadien, bis sie sichtbar zu Tage tritt und zunehmend die Gefahr einer Insolvenz birgt.

Die Corona-Pandemie hat einige solcher Krisen hervorgerufen oder beschleunigt.

Stark ansteigende Unternehmensinsolvenzen durch Corona

Die Corona Auswirkungen werden zu steigenden Insolvenzraten führen. Die Deutsche Bundesbank prognostiziert in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2020 vom 25. November 2020[1] ein starkes Ansteigen der Unternehmensinsolvenzen für die Jahre 2021 und 2022.

Gegenüber Ende 2019, also vor dem Ausbruch von Covid 19, prognostiziert die Bundesbank:

  • Eine Erhöhung der Insolvenzen von 40-50 % der Insolvenzen für das Baugewerbe.
  • Ein Ansteigen der Insolvenzen von 40-50 % für den nichtfinanziellen Dienstleistungssektor
  • Eine Verdoppelung der Insolvenzzahlen für das verarbeitende Gewerbe.
01 - Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen nach dem Finanzstabilitätsbericht 2020 vom 25. November 2020 der Deutschen Bundesbank
Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen. (Bild: © Deutsche Bundesbank)

Wir sehen die realistische Möglichkeit, durch geeignete Krisenvorsorge und Krisenmaßnahmen die Insolvenzgefahr für das eigene Unternehmen maßgeblich zu reduzieren. Welche Maßnahmen wir empfehlen und wie wir vorgehen, schildern wir nachfolgend.

Krisenvorsorge

Nicht jede Krise kann vermieden werden. Man kann das Unternehmen aber so aufstellen, dass es widerstandsfähig wird und damit besser auf Krisensituationen reagieren kann.

Aufbau und Erhalt eines nachhaltigen Geschäftsmodells mit dem Enterprise Transformation Cycle

Je weiter ein Unternehmen von der Insolvenz entfernt ist, desto mehr Zeit besteht, ein erkanntes Risiko aktiv anzugehen und das Unternehmen wieder auf Kurs Richtung eines nachhaltigen Erfolgs zu bringen. Auch sind nur dann oft die notwendigen Mittel verfügbar, um Transformationsprojekte umzusetzen und die notwendigen Investitionen zu tätigen.

Ein Instrument, das die ganzheitliche Transformation eines Unternehmens hin zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell unterstützt, ist der Enterprise Transformation Cycle, kurz ETC.

 

Enterprise Transformation Cycle der TCI GmbH
Der Enterprise Transformation Cycle. (Bild: © TCI GmbH, Abbildung entnommen aus: Mario A. Pfannstiel (Herausgeber), Peter F.-J. Steinhoff (Herausgeber): Der Enterprise Transformation Cycle: Theorie, Anwendung, Praxis, Springer-Verlag, 2019)

 

Er zeigt einerseits die Reihenfolge auf, in der die Elemente des Unternehmens untersucht und ggf. neu aufgestellt werden sollten. Andererseits ist er der rote Faden der operativen Transformation, dient also als Checkliste für die Aktivitäten der systematischen Restrukturierung.

Checklisten decken Schwachstellen auf

Zu jedem Punkt des ETC gibt es eine Checkliste, die eine Positionierung des eigenen Unternehmens erlaubt. Je nach Handlungsbedarf sind dann die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Dies zeigt die folgende Tabelle am Beispiel Strategie:

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Ist eine Vision des Unternehmens schriftlich formuliert und allen Mitarbeitern bekannt und verständlich?
Ist eine Strategie zur Realisierung der Vision formuliert und allen Mitarbeitern bekannt und verständlich?
Sind klare operative Initiativen definiert, um die Strategie umzusetzen und sind diese mit eindeutigen Kennzahlen messbar?
Sind stringent Fach-Strategien aus der Unternehmensstrategie abgeleitet und deren Umsetzung messbar?
Ist das Geschäftsmodell (wie/womit wollen wir nachhaltig Geld verdienen?) formuliert und passt es zu Strategie und Vision?
Sind die Stakeholder zur Umsetzung der Strategie definiert und nachhaltig vorhanden? Dies sind i.W. die Kunden, die Lieferanten, die Mitarbeiter und die Kapitalgeber.
Bietet das Geschäftsmodell ausreichend Alleinstellungsmerkmale bzw. sonstige Erfolgspotenziale, die eine Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sicherstellt?
Ist die Marktpositionierung klar formuliert und sind alle anderen Elemente der Strategie darauf stringent abgestimmt?
Sind die Geschäftsprozesse im Sinne eines integrierten Prozessmodells auf die definierte Strategie ausgerichtet und so eine Operationalisierung der Strategie sichergestellt?
Ist das Leistungsportfolio damit transparent und passgenau an die erkannten Marktanforderungen angepasst?

Hierbei ist es essenziell, dass die strategischen Elemente wie ein Puzzle ineinanderpassen und exakt das Bild ergeben, das alle Mitarbeiter als Wertemuster, als „Leitstern“ im Kopf haben. Diesem folgen sie in allen Aktivitäten und unternehmerischen Entscheidungen.

Zu den anderen Elementen des ETC gibt es ähnliche Checklisten, die eine Positionierung erlauben und aus den erkannten Schwachstellen Verbesserungsmaßnahmen initiieren.

Die Checklisten bieten einerseits die Möglichkeit einer Selbstbeurteilung, gegebenenfalls durch verschiedene Fachfunktionen und Management-Ebenen im Unternehmen im Vergleich. Sie dienen aber auch als Basis für eine neutrale externe Betrachtung.

Krisenvorsorge: Modernes Risikomanagement als Frühwarnsystem

Ein seit langem bekanntes, in vielen Unternehmen aber nicht stringent angewendetes Instrument zur Krisenvorsorge ist das des Chancen- und Risikomanagements. Börsennotierte Unternehmen haben gemäß des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) ein unternehmensweites Früherkennungssystem für Risiken einzuführen und zu betreiben, sowie Aussagen zu Risiken und zur Risikostruktur des Unternehmens im Lagebericht des Jahresabschlusses der Gesellschaft zu veröffentlichen. Aber alle anderen Unternehmen sind dazu nicht verpflichtet. Und selbst die großen Unternehmen leben dieses Instrument oftmals nicht wirklich.

In unserer immer dynamischer und intransparenter werdenden Zeit ist das Instrument des Risikomanagements von größter Bedeutung. Allerdings muss es dringend modernisiert werden und sinnvoll in die Unternehmensführung sinnvoll integriert werden. Ein modernes Risikomanagement muss folgende Aspekte berücksichtigen:

Elemente des modernen Risikomanagements
Die Elemente eines modernen Risikomanagements. (Bild: eigene Darstellung, © TCI GmbH)

 

Bonitätsrating von Kunden als Schutz vor Forderungsverlusten

Wenn im eigenen Unternehmen die Liquidität knapp wird, erkennt das Management dies schnell. Anders sieht es aus, wenn nicht das eigene Unternehmen von der Insolvenz bedroht ist, sondern ein wesentlicher Kunde. Fällt dieser unerwartet aus, kann das eine Kettenreaktion auslösen. Durch den Umsatzrückgang ist plötzlich die Rentabilität nicht mehr gegeben. Wenn jetzt nicht vorhandene Notfallpläne oder umgehende Alternativ-Ideen umgesetzt werden, befindet sich das eigene Unternehmen auch schnell in einer Liquiditätskrise.

Der zurückgegangene eigene Umsatz führt dazu, dass Material bei Lieferanten in signifikantem Umfang nicht mehr gekauft wird, was auch diesen in existenzielle Schwierigkeiten bringen kann.

Was die Zahlungsfähigkeit und das Zahlungsverhalten als einen wesentlichen Einflussfaktor einer drohenden Insolvenz betrifft, gibt es Rating-Angebote von etablierten Firmen wie Creditreform, Euler-Hermes oder Dun & Bradstreet. In unterschiedlichen Stufungen geben diese Auskunft über die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen. Euler-Hermes verwendet eine 10-stufige Skala, die von „1 – sehr hohe Kreditwürdigkeit“ bis „10 – insolvent“ reicht:

10-Stufen-Rating von Euler-Hermes zur Einstufung der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen
Rating von Euler-Hermes zur Einstufung der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen. (Bild: © Euler-Hermes)

 

Vielfach werden diese Angebote zur Beurteilung von Neukunden genutzt. Bei Bestandskunden kommen diese Ratings schon weniger zum Einsatz. Zur Beurteilung von Lieferanten oder sogar von Lieferanten unserer Lieferanten oder der Kunden unserer Kunden wird es eher selten genutzt.

Dabei ist die intakte Lieferkette eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen finanziellen Erfolg. Oftmals wissen Unternehmen jedoch gar nicht, wer die Kunden und Lieferanten zweiten Grades überhaupt sind.

Resilienz – besser durch die Krise

Natürlich gilt es auch, die Sensibilität für mögliche Krisen zu stärken. Da hilft der alte Volksspruch: „Sorge in der Zeit, dann hast du in der Not“. Diese Art der Vorsorge ist ein Element, ein Unternehmen widerstandsfähiger, resilienter zu machen. Andere Möglichkeiten der Steigerung der Resilienz sind z.B. die Schaffung von Redundanz für den Fall, dass eine Ressource ausfällt. Dies gilt für Lieferanten (second Source, …), für Infrastruktur (stand-by-Rechenzentrum), für Mitarbeiter (Vertretungsregelungen) und viele andere.

Eine andere Möglichkeit, Resilienz zu schaffen, ist die Agilität. Dies schafft einen hohen Grad an Adaptivität und Beweglichkeit, um schnell und friktionsarm auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Dahinter verbirgt sich die Grundhaltung, Veränderungen als etwas Positives wahrzunehmen, zumindest als etwas Selbstverständliches.

Kennzahlen zur Krisendiagnose

Um sich ein aussagefähiges Cockpit als Früherkennungsinstrument einer Krise zu erstellen, sind verschiedene Aspekte zu beleuchten und in Kennzahlen abzubilden. Solche Kennzahlen können sein:

  • Kennzahlen zur Rentabilitätsanalyse
  • Kennzahlen zur Net Working Capital Analyse
  • Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse
  • Kennzahlen zur Finanzanalyse beziehungsweise Bilanzanalyse
  • Kennzahlen für Krisen-Investoren

Hier ist es wichtig, die Datenquellen und deren Verlässlichkeit zu definieren und ein gemeinsames Verständnis der Aussagen der einzelnen Kennzahlen im Unternehmen zu finden.

Auf diese Weise kann Handlungsbedarf systematisch und transparent ermittelt werden.

Restrukturierung

Je nach erkanntem Handlungsbedarf sind verschiedene Grade der Restrukturierung angezeigt. Eine Verbesserung des Bestehenden im Sinne einer Beseitigung von Ineffizienzen, Qualifikations-Defiziten oder Inflexibilitäten bei der Infrastruktur kann oftmals schon ausreichen. Über insgesamt vier Schritte geht es hin bis zu einer grundlegenden Neuausrichtung. So kann aus einem Produktionsunternehmen ein Dienstleistungsunternehmen werden, Wettbewerbssituationen können in Kollaborationsstrukturen verwandelt werden, etc. Zur Identifizierung der möglichen Neuausrichtung werden Methoden wie das Design Thinking angewandt. Diese Methode besticht durch eine Phase der Problemidentifizierung und -konkretisierung, bevor es in der nächsten Phase erst in der Lösungsfindung geht. Die 5-Why-Methode zur Identifizierung der wirklichen Ursachen eines Symptoms ist ebenfalls sinnvoll.

Wichtigste Krisenvorsorge: Schonungslose Diagnose

Wer aber die Wachsamkeit zur Identifikation von Unternehmensrisiken vermissen lässt beziehungsweise der Erkenntnis nicht klare Handlungen folgen lässt, gefährdet die Existenz des Unternehmens und damit der daran gebundenen Stakeholder.

Nicht jede Krise lässt sich aber durch Krisenvorsorge vermeiden – und manchmal treten auch unvorhersehbare Katalysatoren ein, wie die Corona-Pandemie, die wir derzeit erleben. Wie sich dann eine Krise bewältigen lässt, lesen Sie in Teil Zwei dieses Beitrages.

Autoren: Frank Ahlrichs, Stefan Dresen, Prof. Dr. Claus Gerberich

[1] Finanzstabilitätsbericht 2020 vom 25. November 2020 der Deutschen Bundesbank. Quellen: Statistisches Bundesamt und Berechnungen der Deutschen Bank. Basierend auf der Prognose vom Juni 2020.

 

(Coverbild: © alphaspirit | Adobe Stock)

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Frank Ahlrichs

Frank Ahlrichs

Frank Ahlrichs ist Partner der TCI, zertifizierter SAFe Program Consultant, Autor und Spezialist für die Themen Prozessmanagement, Controlling und Innovationsmanagement. Er ist seit 20+ Jahren in diversen Unternehmen in Interims- und Projektaufgaben in der Gestaltung rationeller Organisationen tätig.

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