Der Megatrend Digitalisierung erschüttert die globalen Märkte: Innovationszyklen beschleunigen sich rasant. Nur Unternehmen, die mit dieser Geschwindigkeit mithalten können, werden langfristig bestehen. Eine besondere Herausforderung stellt dies für den Mittelstand dar. Sein Budget und seine Entwicklungskapazitäten für innovative Produkte und Lösungen sind begrenzt. Dennoch: Auch der Mittelstand ist von der Disruption betroffen und muss handeln. Ralf Ruß, Partner der TCI Transformation Consulting International GmbH und Geschäftsführender Gesellschafter der credevis GmbH, zeigt verschiedene Komponenten dieser Entwicklungen in der dreiteiligen Serie „Digital Foundation – mehr Mut zu Innovationen“ detailliert auf. Im ersten Teil erklärt er, welche Rolle der globale Standortwettbewerb einerseits und die Entwicklung von Smart Services andererseits in diesem Prozess spielen und wie die ersten Reaktionen der deutschen Player aussehen. Reichen sie schon aus?
Standortwettbewerb: Emerging Countries erobern deutsche Domänen
Wirtschaft und Industrie befinden sich im Umbruch. Der Standort Deutschland kämpft um seine führende Position in der Welt. Mit hervorragendem Ingenieurswissen und einem starken Mittelstand hat Deutschland bisher eine sehr starke Stellung in nahezu allen Bereichen, insbesondere aber in der Automobilindustrie, im Anlagenbau und im Maschinenbau. Der globale Preis- und Innovationsdruck wächst rasant. Durch die Verlagerung von Produktionskapazitäten haben insbesondere die asiatischen Länder (China, Korea, Taiwan, …) auch massiv an Produkt-Know-how aufgebaut. Wettbewerbsvorteile und Differenzierung durch reine Produktmerkmale werden immer schwieriger. Sogar Bereiche des Maschinenbaus, einer typisch deutschen Domäne, erleiden das Schicksal der Elektronikindustrie. Die Globalisierung der Logistik und die globale Transparenz und Vergleichbarkeit von Angeboten erhöhen den Konkurrenzdruck noch zusätzlich.
Smart Services kannibalisieren traditionelle Industriezweige
Neben der Konkurrenz aus Asien entsteht derzeit massive Konkurrenz aus artfremden Industrien. Insbesondere Internetfirmen dehnen ihre Geschäftsmodelle von der virtuellen in die physische Welt aus. Es gelingt diesen Unternehmen, auch wegen ihrer enormen finanziellen Mittel, in traditionelle Märkte als Produzent einzudringen (zum Beispiel Tesla) oder Geschäftsmodelle zu entwickeln, die die Produkte in den Hintergrund drängen oder sie austauschbar machen (zum Beispiel smart building services). Auch hier findet also eine Disruption der Märkte statt.
Industrie 4.0: Automatisierung und Rückverlagerung statt Disruption?
Die deutsche Wirtschaft hat bislang so darauf reagiert, dass die Produktion mit Automatisierung und Individualisierung (Industrie 4.0) wieder nach Europa zurückverlagert wird. Das heißt, die zunehmende Kundenanforderung nach Individualisierung der Produkte wird mit den Methoden der Massenfertigung vereint. Das ist nur durch hochgradige Automatisierung von komplexen Produktions- und Logistikabläufen realisierbar. Die Automatisierung wird ermöglicht durch den massiven Einsatz von intelligenten Produkten und Maschinen, die als Sensoren und Aktuatoren zu sogenannten Cyber Physical Systems (CPS) vernetzt werden. Mit der Massendatenverarbeitung und Big Data Technologien werden die erzeugten Daten ausgewertet und zur Steuerung verwendet. Die deutschen Maschinenbauer sind Weltmarktführer in der Automatisierung von Produktionsanlagen.
Der Effekt von Industrie 4.0 auf Kostenreduktion und auf die Wettbewerbsvorteile ist allerdings begrenzt, zumal schon seit Jahren in Automatisierung investiert wurde und die Lösungskompetenz in den Emerging Countries ebenfalls steigt.
„Smartifizierung“ und Big Data: Neue Wege für digitale Pioniere
Neben der Industrie 4.0 bietet die Digitalisierung weitere Chancen im direkten Kundenumfeld. Im sogenannten Internet der Dinge (IoT) eröffnen sich durch mobile Kommunikation und Big Data unzählige Geschäftschancen. Im Zusammenspiel von Maschinen und Menschen werden sehr viele Daten erzeugt, die bei der Entwicklung und Erbringung von Leistungen verwendet werden können. Produkte werden zu Services und Daten werden zu Produkten. Daten- und Service-basierte Geschäftsmodelle sind der ideale Playground für die digitalen Pioniere. Die Anzahl disruptiver Geschäftsideen wächst permanent. Global bekannte Beispiele sind AirBnB, Uber, Amazon. Aber auch in traditionellen Bereichen gibt es Bewegung, zum Beispiel bei Claas – Smart Farming, DriveNow, Hilti-Fleet Management, und viele mehr.
Die Digitalisierung ermöglicht Disruption und innovative Geschäftsmodelle, erhöht jedoch auch den Druck, diese Innovationen wirklich zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Die Agilität der digitalen Entwicklung muss hier genutzt werden, um den schnellen Einstieg in die digitale Welt zu finden.
Lesen Sie im nächsten Beitrag der „Digital Foundation“, wie neue Kundenerwartungen durch die Digitalisierung entstehen, und was Unternehmen tun müssen, um sie zu erfüllen.
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